Kultur

Iphigenie: Claudia Sorokina. (Foto: Ludwig Olah)

19.07.2016

Keine Chance für Piccinni

Die Nürnberger Opernfestspiele: Piccinnis "Iphigénie"

In einem offenen Brief schrieb Niccolo Piccinni, man könne keine zwei Stücke der beiden Opern direkt miteinander vergleichen. Er meinte die beiden „Iphigenien auf Tauris“, seine eigene, die andere von Christoph Willibald Gluck. Um beide rankt sich eines der berühmtesten Streitgefechte der Musikgeschichte – vielleicht aber auch nur eines, das der Direktor der Pariser Opéra für besonders reizvoll und geschäftsfördernd fand. Natürlich wollen die Nürnberger Gluck-Opernfestspiele, wenn ihr Thema schon „Zeitkultur/Streitkultur“ heißt, vergleichen und bringen deshalb als deutsche Erstaufführung Piccinnis „Iphigénie“ wenigstens konzertant auf die Bühne. Mit denkbar großzügigem Aufwand: der Camerata Salzburg, dem „Berliner Vocalconsort“, vorwiegend französischen Solisten, alle unter der historisch bestens informierten Leitung von Wolfgang Katschner (sonst am Pult der Lautten-Compagney). Zwei berühmte Damen standen hinter den beiden Komponisten: die Dubarry hinter dem liebenswürdigen Italiener, der zuhause schon einen Riesenerfolg mit der Buffa „La buona figliuola“ gehabt hatte, die Königin Marie Antoinette hinter dem streitbaren und realitätsverbundenen Gluck: „Glaubt mir, in diesem Lande darf man nur ans Geldverdienen denken.“ So ist er auch reich gestorben, Piccinni in Verbitterung und Armut. Der Streit wurde mit unfairen Mitteln ausgetragen: der Meister der italienischen opera buffa gegen den Meister der opera-seria-Reform. Für die Pariser sei Piccinni nur eine Schachfigur gewesen, sagt Gluck-Kenner Alfred Einstein. Und so kommt es denn auch bei der Erstaufführung in Nürnberg. Vielleicht als Ehrenrettung für Piccinni gedacht, stand nach zweieinhalb Stunden fest: kein Vergleich, die Vernunft der Tragédie lyrique im Sinne Glucks hat auch jetzt über den Könner der Koloraturen und barocken Effekte gesiegt. Schon die Ouverture zeigt den typischen Piccinni-Stil: eine verspielte, lautmalerisch-dekorative Dramatik mit hübschen, idyllischen Flöten-Zwischenspielen, die dem Publikum breit ausgemalte Geschichten erzählen wollen. Überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Furor, mit dem sich Gluck in den gleichen Stoff stürzt. Durch das Libretto, das übrigens auch Gluck angeboten worden war, buchstabiert sich Piccinni in betulich-langatmigen Rezitativen, mit wuchtigen, konventionellen Akzentsetzungen, selten mit einem wirklich ausgeführten melodischen Einfall. Der musikalische Fortgang verdichtet sich ganz selten zu einer einprägsamen Arie, zu einem Duett – höchstens gegen Ende des 2. Akts in der Wiedererkennungsszene der beiden Geschwister. Ausführlich werden Gewitter und Stürme gemalt, erst raisonniert ewig der Chor, bevor die Solisten das Entscheidende sagen dürfen, Vorgeschichte wird referiert, retardierende Momente verschütten die dramatische Erschütterung . König Thoas ist auf barbarisches Dauer-Forte festgelegt (Jean-Vincent Blot), Frederik Cornille gibt als Orest den unablässig rasenden und von Furien gepeitschten, Pilade ist bei Benedikt Kristjansson ein edler und edel singender, opferbesessener Freund. Und Claudia Sokorina gibt die Titelfigur mit scharfkantigem Sopran als Operndiva: Das war eine stilsichere Piccinni-Besetzung, die zurecht viel Applaus bekam. Aber die Musikgeschichte muss nicht umgeschrieben werden. Pompös und bieder ist das Finale: „Tugend soll belohnt werden durch Liebe.“ Die Gluckfestspiele belohnen ihr Publikum durch die interessantesten Facetten, die einem zum Thema Gluck einfallen. (Uwe Mitsching)

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