Kultur

Der Max-Littmann-Saal in Bad Kissingen ist einer der zentralen Konzertorte während des Kissinger Sommers und bei Stars aus aller Welt beliebt. (Foto: dpa)

27.07.2016

Klangrausch im Kurbad

Ein Rückblick auf die Höhepunkte des diesjährigen Kissinger Sommers

Zwei Schwerpunkte setzt der Kissinger Sommer seit 30 Jahren: das Klavier und den Gesang. Auch 2016, im letzten Jahr der verdienstvollen Gründungsintendantin Kari Kahl-Wolfsjäger, begann das Eröffnungskonzert mit wunderbaren Stimmen in Gustav Mahlers sinfonieähnlichem Werk „Das Lied von der Erde“. Da hier altchinesische Lyrik vom Komponisten 1908 in Töne gesetzt wurde, empfahl es sich wohl, auch authentische chinesische Musik hören zu lassen. Nicht zuletzt stand deshalb am Anfang das unglaublich schwere Trompetenkonzert „Joie éternelle“ des bekannten chinesischen Komponisten Quigang Chen von 2014, in dem dieser eine Melodie aus der Peking-Oper als Erinnerung verarbeitete und der britischen Trompeten-Virtuosin Alison Balsom ins Instrument schrieb. Die charmante Künstlerin war auch die souveräne Interpretin dieses Werks; trotz des modernen Instruments und den schwindelerregend schnellen Läufen ließ das träumerisch Schwebende der Linien und die exotische Delikatesse den fernöstlichen Zauber spürbar werden.

Einzigartiger Klangrausch

Dazu kam, dass der Dirigent des Abends, Long Yu, ein Kenner der Materie und obendrein wohl der profilierteste Orchesterleiter seines Landes ist. Im Max-Littmann-Saal konnte er so die exzellenten Münchner Philharmoniker zu einem einzigartigen Klangrausch in Mahlers „Lied von der Erde“ führen. Was sie hier an Farben, an Stimmungsnuancen von Süße bis Dramatik von fröhlich bis meditativ, an Illustrativem, an poetischen Gedanken boten, war ein einziges großes Musikgedicht über das Ankämpfen gegen den Zerfall einer lange bestehenden Ordnung. Das Trinklied vom Jammer der Erde leitet programmatisch das quasi sinfonische Werk ein. Tenor und Bariton gestalten die Gedichte. Klaus Florian Vogt konnte mit seiner großen, gut verständlichen, ausdrucksstarken Stimme besonders diesen Zwiespalt zwischen Verzweiflung und Auflehnung dagegen formulieren, Michael Nagy betonte eher das Melancholische, auch wenn das neckisch tänzelnde Lied „Von der Jugend“ sehr stimmungsvoll die nächtliche Szene am kleinen Teich schilderte; schmeichelnd, mit süßen Geigen und fröhlichen Flöten, feinem Harfenspiel die Huldigung an die Schönheit, wie ein Abgesang, ein Traum. Vogt griff dies auf in seiner trotzig lustvollen Beschwörung des Trunken-Seins, bevor Nagy den Abschied von all dem irdischen Schein eher tragisch ausleuchtete; mit einer unbestimmten Sehnsucht nach „ewig!“ endete alles ganz leise. Langer, begeisterter Beifall!

Ausdrucksschwacher Ersatz

Nicht ganz so zufrieden sein konnte man mit dem Ersatz für den erkrankten Philippe Jaroussky und sein Ensemble „Artaserse“. Denn auch wenn der Titel „Barocken Glanz“ versprach – der Abend hielt trotz seines Schwerpunkts Vivaldi mit dessen „Vier Jahreszeiten“  dies nicht so recht. Denn der griechische Altus Nicholas Spanos besitzt zwar eine weiche, nicht allzu große Stimme mit angenehmer Mittellage, aber es fehlt ihm die Möglichkeit ausdrucksstark zu gestalten. Das zeigte sich schon in einer Arie aus „Orlando furioso“, und auch in weiteren Arien sang er zwar mit strahlender Höhe, aber insgesamt etwas verhalten. So konnte er kaum Emotionen wecken.

Wahnwitzig schnell

Auch das Orchester 1756 aus Salzburg unter der lebendigen Leitung von Konstantin Hiller am Cembalo verlegte sich allzu sehr aufs Virtuose. Alles war auf innere Bewegung und rhythmischen Schwung, auf wahnwitzig schnellen Zug ausgerichtet, und der Geigen-Solist Dimitris Karakantas trieb seine Mitspieler ständig zu noch rasanterem Tempo an, durch Aufstampfen und energische Mitarbeit des ganzen Körpers. Das Orchester jedoch bezauberte immerhin durch seine Frische und seine Transparenz, auch wenn sich der Eindruck eines manierierten Vortrags immer mehr verstärkte.

Triumph des Belcanto

Ein Triumph des Belcanto war die „Mailänder Gala“ mit dem Orchestra dell’ Accademia del Teatro alla Scala unter dem äußerst umsichtig leitenden Massimiliano Murrali. Die blutjungen Nachwuchsmusiker zeigten zwar in der „Rienzi“-Ouvertüre Wagners ein paar wenige Anlaufschwierigkeiten, bald aber verflog die Nervosität, und mit exzellenter Disziplin, ansteckender Spiellaune und viel Schwung überzeugte das vorwiegend weiblich besetzte Orchester durch feine Tongestaltung. Die beiden Sänger aber gaben dem bemerkenswerten Abend das mitreißende Profil. Norma Fantini, eine auch von der äußeren Erscheinung her wahre Primadonna, faszinierte in der Arie der Margherita aus Boitos „Mefistofele“ mit ihrem großen, äußerst dramatischen Sopran und einer riesig starken, vollen Höhe, mit klangvoller Mittellage und dunkler Tiefe sowie dynamischen Linien. Robert Dean Smith, profilierter Heldentenor im Wagner-Fach, wirkte in der berühmten Romanze „Cielo e mar“ aus Ponchiellos „La Gioconda“ bisweilen noch etwas steif, doch schon in der Rolle des Canio aus Leoncavallos „Bajazzo“ imponierte er durch seine düstere Verzweiflung. Während die Sängerin als Wally eher mit ihrer dramatischen Gestaltung punktete, konnte sie als Butterfly von Puccini mit feinster Delikatesse und tollen Steigerungen sowohl Glück wie Resignation ergreifend ausdrücken, und im Duett mit Smith entfaltete sich glaubhaft der emotionale Zwiespalt zwischen den Welten der Cio-Cio-San und Pinkerton.

Packende Szenen

Nach der Pause gab’s Verdi pur, aber mit eher nicht so bekannten Ausschnitten aus seinen Opern. Schon in der Rolle des Rodolfo aus „Luisa Miller“ überraschte Smith mit schönen, freien Linien und  herrlichen Steigerungen; Norma Fantini gestaltete den Schmerz der Amelia aus dem „Maskenball“ mit ausdrucksstarken Farben und phänomenalen Höhen. Im Duett zwischen Don Carlo und der unglücklichen Elisabetta aber lieferten die beiden Gesangsstars eine packende Szene, ließen die Spannung zwischen den beiden verhinderten Liebenden greifbar spüren, und im Duett zwischen Otello und Desdemona aus dem 3. Akt aber steigerte sich der Konflikt zu purer Verzweiflung, so dass sogar bei der Sängerin Tränen flossen. Ein glanzvoller Abend!

Schmeichelndes im Kurtheater

Eine weitere italienische Operngala erwartete die Gäste im voll besetzten Kurtheater. Hier zelebrierte das Orchestra di Padova e del Veneto unter Claudio Desderi schmeichelnde Melodien. Der erste Teil des Abends war Donizetti gewidmet. Dabei konnte Bassbariton Daniel Kotlinski die von buffeskem Humor getragenen Rollen der älteren Herren wie Don Pasquale oder Dulcamara gut verkörpern, später auch den Dottore Bartolo. Star des Abends aber war die Sopranistin Julia Novikova, ob als charmante Norina mit glänzender Höhe und lockeren Koloraturen, später auch als Rosina mit klarer Stimme; sie überstrahlte auch ihre Tenor-Kollegen, so den Italiener Antonio Poli, der in der berühmten Arie des Nemorino die Träne allzu nachdrücklich mit wenig Schmelz beschwor, ansonsten aber mit viel Stimmkraft imponierte. Der Koreaner Sung Min Song, anfangs noch etwas gehemmt, konnte als Rodolfo aus der „Bohème“ sein schönes Stimm-Material frei entfalten und mit Riesenhöhe gefallen. Das Publikum war hingerissen.

Hochdramatisch, manchmal zu laut

Das Münchner Sonntagskonzert bot hingegen Hochdramatisches, große Oper. Das Münchner Rundfunkorchester unter Asher Fish legte sich dabei mächtig ins Zeug, oft etwas zu laut, zu wenig farbenprächtig. Es begann die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova als Vitellia aus Mozarts „La Clemenza di Tito“ und zeigte hier schon ihre zwei Stimm-Charaktere, die dunkel-samtige Tiefe und die Strahlkraft ihrer hohen, fast stählernen Stimme. Dass Ricarda Merbeth eine ausgewiesene Wagner-Sängerin ist, zeigte sich in der Ballade der Senta; beide Damen vereinten ihre schönen Stimmen in einem langen Duett aus dem „Rosenkavalier“. Merbeth präsentierte sich als wahre Wagner-Heroine in der Arie der Elisabeth aus dem „Tannhäuser“ und steigerte sich am Schluss noch zu einem wunderbar leuchtenden, glänzend gestalteten Liebestod der Isolde. Die Kasarova aber konnte vorher noch prunken als Dalila und als rachsüchtige Principessa aus „Adriana Lecouvreur“. Das berühmte Duett von Hänsel und Gretel aber wiegte wohl keinen in den Schlummer, dazu waren die Stimmen einfach zu aufregend schön. Das Finale des letzten Kissinger Sommers der Intendantin bot nochmals ihr lieb gewordene Künstler auf, den bewährten 75-jährigen Dirigenten Lawrence Foster und die berühmte Sängerin Waltraud Meier. Er hatte sich ein „deutsches“ Programm ausgesucht, begann mit dem groß besetzten, klangstarken Orchestre Philharmonique de Marseille in Vorspielen zu Wagners „Lohengrin“ und schloss daran Mahlers Orchester-Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ an. Waltraud Meier betonte dabei die eher schelmisch-spöttischen Züge, gab ihnen bis zum „Urlicht“ immer strahlendere Färbungen; Daniel Kotlinski waren die eher tragischen Soldaten-Lieder zugeteilt. Nach der Pause Haydns Violoncello-Konzert mit einem fein gestaltenden Gautier Capucon, und das Orchester steigerte sich noch zu empfindsamem, großen Farbenreichtum in der „Rosenkavalier-Suite“ von Strauss. Nach dem Beifallsjubel gab es noch auf Wunsch der scheidenden Intendantin Elgars „Pomp and Circumstance Nr. 1“. Der designierte Intendant Tilman Schlömp tritt in große Fußstapfen. (Renate Freyeisen)   Abbildungen (von oben, alle Fotos: dpa)
Trompeten-Virtuosin Alison Balsom.
Mezzosopranistin Vesselina Kasarova.
Die scheidende Intendantin des Kissinger Sommers, Kari Kahl-Wolfsjäger.

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