Kultur

Skurrile Persönlichkeiten: Nan Goldings „Jimmy Paulette + Tabboo im Badezimmer“ - Ausschnitt, vollständige Ansicht in der Bilergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: Slg. Goetz)

26.08.2016

Konstruiert und deformiert

Die Ausstellung „Inszeniert!“ in der Hypo-Kunsthalle erinnert an frühere Abnormitätenschauen

An der Wand ein Schminkspiegel mit blinkenden Lämpchen. Auf der Konsole darunter liegt eine rote Clownsnase. Aber wir wissen ja: Mit den Clowns kamen die Tränen. Denn der Stuhl, der zu diesem Backstage-Ambiente gehört, ist umgefallen, und von der Decke hängt gar gruselig ein schwarzes Seil mit Schlinge herab. Soll diese Installation des skandinavischen Künstlerduos Elmgreen & Dragset, mit der die neue Ausstellung der Münchner Hypo-Kunsthalle beginnt, vielleicht als Schockbild dienen, wie man auf Zigarettenschachteln sieht? Als Illustration eines Warnhinweises der Art „Maskerade kann tödlich sein“? Passen würde es jedenfalls zu dieser Schau, die sich unter dem Titel Inszeniert! das sehr belastbare Thema „Spektakel und Rollenspiel in der Gegenwartskunst“ vornimmt. Dass man viele der Exponate schon einmal gesehen hat, liegt daran, dass sie sämtlich aus der riesigen Privatsammlung von Ingvild Goetz stammen, die seit einiger Zeit die Münchner Museen flutet. Dabei scheint die Thematik Maskierung – Verkleidung – Verstellung eigentlich hochbrisant in einer Leistungs- und Erfolgsgesellschaft, die uns allen wechselnde Rollenmuster aufnötigt: Wer konkurriert, sei es um Arbeitsplätze, Kunden oder Sexualpartner, versucht, eine möglichst wirkungsvolle Performance hinzulegen und schlüpft genau in die Rolle, die erwartet wird – frei nach dem Motto „Ich bin nicht Caruso, aber ich tu so.“

Schrille Zirkusleute

Und die derzeit schwer angesagten Theorien, die Identität nur als Konstrukt, Gender-Phänomen und kulturelle Prägung sehen, liefern pflichtschuldig den Überbau solcher ökonomisch erforderten Persönlichkeits-Flexibilisierung. Als Rechtfertigungs-Ideologie für die Deformationen, die der totale Markt dem Einzelnen aufbürdet, verschleiern sie die Gewalttätigkeit des Verstellungszwanges und idealisieren die Selbstverbiegung des Individuums als anthropologische Konstante. Vielleicht kokettieren deshalb so überraschend viele der versammelten Werke mit der Ästhetik jener Abnormitäten-Schauen (Englisch: Freak-Shows), die früher auf Jahrmärkten Zwerge, Siamesische Zwillinge oder Damen ohne Unterleib als Sensation präsentierten. Allen voran sind hier Ulrike Ottingers Fotos zu nennen, die schrill ausstaffiertes Zirkus-Personal (darunter viele Kleinwüchsige) surreal in Szene setzen. Etliche andere Fotos zeigen Transvestiten, und die trashig-sterilen Selbstverkleidungsporträts der unvermeidlichen Cindy Sherman tun so, als würden sie weibliche Rollenmuster problematisieren.

Puppen und Attrappen

Eine weitere Abteilung der Schau widmet sich dem Thema der Puppe, die ja ebenfalls zum Komplex Theater gehört – irgendwie jedenfalls. So baut Markus Schinwald lebensgroße Marionetten, deren Glieder an dünnen Stahlseilen hängen und durch kleine Motoren an der Decke bewegt werden. Laurie Simons’ quietschbunte Fotos von Balletteusen (die mit ihrem starren Lächeln auch immer etwas Puppenhaftes haben) zeigen nur deren Beine, während der Rest des Körpers in riesigen Attrappen von Büchern, Uhren oder Torten steckt. Und weil man damit ohnehin schon beim Stichwort des geleiteten, also von außen inszenierten Menschen ist, wird am Schluss auch noch das Motiv des Massenspektakels in den Blick genommen. Hier darf natürlich Andreas Gursky nicht fehlen, der Meister der Menschenmassen-Fotomontage, von dem ein großformatiges Bild des „Union Rave“, einer Techno-Veranstaltung, zu sehen ist. In den gelenkten Exaltationen solcher Massenpsychosen, also etwa auch bei Rockkonzerten oder in Sportstadien, wird der Mensch selbst Teilchen, ja Material einer Inszenierung, und das Verschmelzen des Einzelnen mit der Menge erscheint wie ein Training zum Abbau jener bockigen Identitätsbehauptung und Rollenspielverweigerung, die sich nicht beugen und damit brauchbar machen lassen will. Nicht ohne Grund hat das NS-Regime mit Inszenierungen wie dem Reichsparteitag solche ekstatischen Shows der Entindividualisierung zu höchster Perfektion getrieben. (Alexander Altmann) Information: Bis 6. November. Hypo Kunsthalle, Theatinerstraße 8, 80333 München. täglich 10-20 Uhr.
www.kunsthalle-muc.de

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