Kultur

Maria Widmann in "Unschuld". (Foto: Gabriela Neeb)

26.09.2016

Konversations-Tragikomödie in Wellness-Optik

Dea Lohers „Unschuld“ am Münchner Volkstheater

Ein Stück mit Leichenwäschern, Stripperinnen, Borderlinern? Nicht ungewöhnlich im heutigen Theater. Aber die Sätze, die sie hier sagen, muss man erst mal hinkriegen: „Ich wollte die Menschen befreien von ihren Tischtennisvereinen. Und jetzt träum’ ich von einer Zigarette zur nächsten“, sagt Frau Zucker (Ursula Burkhart), die alte Kommunistin, die Tochter und Schwiegersohn nervt, zu denen sie ins Einzimmerappartement gezogen ist. Und das blinde Mädchen mit dem symboltriefenden Namen Absolut (Pola Jane O’Mara), das mit behördlicher Genehmigung im Nachtclub „Blauer Planet“ an der Stange tanzt, erklärt: „Ich liebe meine Genehmigung sehr.“ Der illegale Einwanderer Fadoul (Jean-Luc Bubert) wiederum, der eine Plastiktüte mit 200 000 Euro drin findet, wird darüber zum Mystiker: „Gott ist in mir, weil er mir diese Tüte geschickt hat“, erklärt er, worauf sein Kumpel Elisio (Leon Pfannenmüller) resigniert: „Sogar mein Freund ist ein Gott, nur ich bin total normal und kann gar nichts dagegen tun.“

Ein U-Bahnhof
als Bühnenbild


Solche Sätze, in denen verstörende Komik und die Wahrhaftigkeit des Absurden untrennbar verschmelzen, machen verständlich, warum Dea Loher als eine der herausragenden Theaterautorinnen unserer Tage gilt. Und um solcher Sätze Willen nimmt man in Kauf, dass manche Szenen sehr ausgedacht wirken in ihrem Begegnungs-Drama Unschuld (2003). Wie immer bei Dea Loher, geht es in dieser Folge lose verbundener Short Cuts um alles und nichts, also um die ganz großen und letzten Dinge: den Sinn des Lebens, den Tod, die Schuld und den Wahn. Den wohltuenden Kontrast zu diesen Höhenflügen bildet das buchstäblich unterirdische Bühnenbild, denn Anne Ehrlich hat einen veritablen U-Bahnhof ins Münchner Volkstheater gebaut: Eine gekachelte Wand, davor Mülleimer und Metallsitze für die Fahrgäste in diesem Wartesaal zum großen Glück. Auf den Werbescreens sieht man mal wogendes Meer, mal ein gemaltes Biedermeier-Idyll. Nach jeder Szene geht das Licht aus, und es fährt ein (U-Bahn-)Zug nach Nirgendwo – als rauschende Videoprojektion, die im Gleisbett vorne am Bühnenrand ganz reale Plastiktüten im Luftsog aufwirbelt. Regisseurin Lilja Rupprecht hat das Stück recht kongenial, aber brav als existenzielles Tiefsinns-Geplauder inszeniert, statt seinen Irrwitz grell herauszukitzeln. Also gibt’s eine Konversations-Tragikomödie in psychedelischer Wellness-Optik, wobei die besten Passagen immerhin von einer wunderbar surreal verschwebenden Psychologie unterfüttert scheinen.
Am Ende tanzen Absolut und Elisio zu sanfter Musik, während weiße Nebelschwaden daherwallen. Das ist hübsch melancholisch, aber auch ein bisschen zu Weltschmerz-selig – in aller Unschuld gesagt...
(Alexander Altmann)

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