Kultur

Nicht tänzerisch, aber sehr körperlich: Antonia Baehr in ihrer „Lach-Partitur“. (Foto: Domage)

13.08.2010

Lachattacken und Alpträume

Seit 20 Jahren demonstriert die Tanzwerkstatt Europa, wie vielseitig Choreografie sein kann

Wenn einer in der Münchner Tanzszene für Kontinuität steht, dann ist es Walter Heun mit seiner Produktionsfirma Joint Adventures. Seit zwei Jahrzehnten ist seine Tanzwerkstatt Europa (TWE) eine sommerliche Weiterbildungsstätte von internationalem Renommee für Profis, Amateure und seit Neuestem auch für Jugendliche und Kinder. 19 Pädagogen, viele selbst Choreografen, unterrichten in verschiedenen Stil- und Technik-Workshops: vom zeitgenössischen Tanz und choreografischer Komposition bis hin zu Breakdance und Kontakt-Improvisation. Immer mehr Gewicht erhalten „tiefenkörperliche“, gesundheitliche Techniken wie Tai Chi, Feldenkrais und Yoga. Die parallel laufende Veranstaltungs-Reihe präsentierte auch diesen August die aktuellen Tanztendenzen; an diesem Wochenende endet die 20. TWE.
Unter Choreografie versteht man im ursprünglichen Sinn musikalisch begleitete, im Raum strukturierte Bewegung. Seit Pina Bauschs schauspiel-nahem Tanztheater in den 1980er Jahren hat sich dieser Choreografie-Begriff erheblich erweitert. Zum einen suchen Tanzschöpfer sich in Verbindung mit anderen Künsten neu zu inspirieren. Zum anderen springen Nicht-Choreografen – Regisseure, Soziologen, bildende Künstler – immer öfter auf den Zug „Choreografie“ auf.

Zitate der Großen

Dies scheint auch der Fall beim Slowenen Janez Jansa zu sein, der nebenberuflich Universitätsdozent ist. Offenbar hat er hier seine Vorlesungen zweitverwertet. Auf einem erhöhten großen Schirm liest man die Lebensläufe und Selbstaussagen der führenden Tanzerneuerer des 20. Jahrhunderts: wie Trisha Brown, William Forsythe und Pina Bausch. Synchron zu den Texten zeigen Jansas Tänzer brav und ohne Charisma Stil-Beispiele oder direkt Zitate aus Stücken der berühmten Vorbilder. So dröge, wie sich das anhört, war es auch.
Ähnliches Sujet, aber voll durchgearbeitet: die humorvoll-schräge Performance Made in Russia von Andrei Andrianow und Oleg Soulimenko. Die beiden Russen erzählen und tanzen ihren eigenen Werdegang. Auch hier Stil-Beispiele zwischen klassischem Ballett, Pantomime, japanischem Butohtanz und Kontaktimprovisation – aber serviert von zwei wahren Münchhausen, die hinter ausgefuchsten Lügengeschichten und einem hinreißenden Körperwitz ihren eigenen Existenzkampf während der Nach-Perestroika-Zeit durchscheinen lassen.
Tanz ist das sicherlich nicht, aber durchaus sehr körperlich, was Antonia Baehr mit ihren Lach-Partituren vorführt. Mit Herrenhaarschnitt und grauem Business-Anzug verfremdet, lacht sie sich hochkonzentriert durch die Tonleitern: in allen Variationen zwischen keckerndem Sopran und obertonreichem röhrendem Bass. Baehrs Lachen ist eine auch immer wieder zum Mitlachen reizende virtuose Leistung – die sich am Ende, wenn die Stimmkünstlerin zu einer bedrohlich gestikulierenden Lachmarionette wird, doch noch mit Bedeutung auflädt.
Bildnerische Impressionen dann bei dem eigenwilligen Stück W (doubleyou) – Undertow (deutsch: „Sog“) des Dänen Palle Granhoj. Sein im Dunklen liegender Bühnenraum besteht aus Mini-Pfahlbauten mit gläsernen Böden. So hat der Zuschauer, hier in Rückenlage, freie Sicht in die Miniatur-Gehäuse. Indem die darin befindlichen Tänzer sich drehen und wenden, meist eng gepresst an die gläserne Platte, entstehen skurrile, grotesk verzerrte, auch erschreckend entstellte Körperbilder. Eine Performance – live begleitet von exotischen Liedern und den herben Klängen einer Viola – wie ein surrealer Alptraum.
Zeitgenössischer Tanz, das erfährt man bei dieser 20. Münchner Tanzwerkstatt wieder einmal, kann alles sein: von Künstler-Vita bis zu Stimm-Experiment und bewegter Skulptur. (Katrin Stegmaier)

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