Kultur

In seiner Freizeit sammelt Oliver Linke Buchstaben in den Straßen der Stadt. Bei der Typographischen Gesellschaft lädt er zu „type walks“ ein. Die führen beispielsweise auf den Spuren des Schriftentwerfers Karl Blaschke (1889 bis 1970) durch München. (Foto: Linke)

30.04.2015

"Laien mögen lustige Lettern"

Der Schriftentwerfer Oliver Linke über beliebte Fallen der Typografie

Geschriebenes allerorten. Auch Schriften für PC & Co. müssen designt werden. Design heißt: Form und Inhalt müssen zusammenpassen. Darum kümmern sich Schrift- entwerfer und Typografen. Vor 125 Jahren haben einige von ihnen die Typografische Gesellschaft München gegründet. Oliver Linke, der heutige Vorsitzende, will, dass sein Metier auch den Weg in Lehrpläne findet. BSZ Herr Linke, von Typografie spricht man, seit es gedruckte Lettern gibt. Das liegt einige hundert Jahre zurück. Gibt es inzwischen nicht schon alle Varianten an Schrifttypen?
OLIVER LINKE Die Typografie ist quasi das Kleid der Sprache. Und wie in der Mode sind Hose und Jacke ja auch schon vor langer Zeit erfunden worden, aber man will nicht immer das gleiche anziehen. BSZ Die Antiqua gibt es seit 1450.
LINKE In der Tat gibt es einige Klassiker die das Grundgerüst bilden, auf denen Neuschöpfungen aufbauen. Schriften der Renaissance wie die Garamond gehören dazu. Momentan sind klassizistische Schriften wieder im Kommen. BSZ Wie unterscheiden die sich?
LINKE  Die Renaissance-Schriften sind lebhaft, haben mehr Schrägen und Rundungen. Die des Klassizismus dagegen haben einen mechanistischeren Look, wirken statischer und kühler. BSZ Ist das eine Folge der Anforderungen für elektronische Medien? Dort sollen Infos auf einen schnellen Blick gelesen werden.
LINKE Ja, möglicherweise. Die Bildpunkte eines Bildschirms sind horizontal und vertikal angeordnet. Dem entsprechen Schriften, die auch dem Prinzip der Waagerechten und Senkrechten folgen. BSZ Abgesehen von solchen technischen Bedingungen, die immer entscheidend für die Entwicklung und den Einsatz von Lettern sind, welcher Trend ist denn gerade in der Typografie angesagt?
LINKE Um Moden in unserem Metier beschreiben zu können, braucht es eine gewisse zeitliche Distanz. Insofern ist das anders als bei der Kleidung. Wir entwerfen und präsentieren nicht alljährlich eine Frühjahrs- und eine Herbstkollektion. Andererseits lassen sich durchaus auch in der Typografie Strömungen und Trends beobachten. Wie zum Beispiel seit einiger Zeit eine Retro-Welle. BSZ Die Schriftvielfalt ist ja bereits sehr groß. Was kann man denn an Schriften überhaupt noch Neues entwerfen?
LINKE Oft bezieht sich das Neue tatsächlich nur auf Details, die von bestehenden Schriften abweichen. Die Veränderungen springen dem Laien meist nicht direkt ins Auge, sie wirken eher unterschwellig auf das Textbild. Das betrifft zum Beispiel die Form von Bögen oder Balkenenden. Oft ist ein konkreter Anwendungsbedarf der Ausgangspunkt des Entwurfs. BSZ Sie haben die „Finn“ entwickelt. Was war dafür der Anlass?
LINKE  Ich hatte den Auftrag, eine Wortmarke zu gestalten. Ich habe dann daraus hinterher eine ganze Schriftfamilie gemacht, also auch mit den Varianten in Kursiv und Fett. Das Charakteristische an ihr sind die Abschlüsse der Buchstabenstämme. Die sind leicht schräg, erinnern an Fischflossen, also Finnen. Daher der Name. BSZ Gängige Textverarbeitungsprogramme bieten eine ganze Litanei an Schriften. Es ist doch ein leichtes, selbst damit zu jonglieren. Nimmt diese Konkurrenz Ihnen nicht das Geschäft weg?
LINKE Ich gehöre bestimmt nicht zu jenen, die darüber jammern. Im Gegenteil, das Motto der Typographischen Gesellschaft lautet „Typo für alle!“ Wir sagen, dass Typografie jeden angeht. Jeder hat damit zu tun, und der Umgang damit sollte eine selbstverständliche Grundfertigkeit sein. Der PC hat gewissermaßen zur Demokratisierung geführt. BSZ Aber als Profi werden Sie sich doch von den Laien abgrenzen.
LINKE  Natürlich. Zwar gibt es einige begnadete Genies, die das richtige Gespür für die Typografie schon in sich haben. Aber prinzipiell kann Typografie erlernt werden, wie jedes andere Metier. Die Typografische Gesellschaft steht seit Anbeginn für diesen Lehrauftrag. Ich selbst bin Lehrer, und ich wünsche mir, dass nicht erst Studenten, sondern auch schon Grundschüler mit den Prinzipien der Typografie vertraut gemacht werden, dass sie das richtige Sehen lernen, damit sie später nicht in Fallen tappen. BSZ Welche Fallen sind das typischerweise?
LINKE Laien tendieren gerne dazu, übers Ziel hinauszuschießen und begeistern sich für lauter lustige Lettern. Das kann aber ganz schön daneben gehen, wenn sich das Schriftstück nicht auf eine Partyeinladung, sondern etwas Seriöses bezieht. Wenn zum Beispiel ein Rechtsanwalt seine Imagebroschüre mit einer verspielten Schrifttype gestaltet. Solche Anmutungsfehler, wenn Inhalt und Schriftform einfach nicht zusammenpassen, sieht man sehr oft. BSZ Bei welchen Fehlern graust es Sie denn noch?
LINKE Etwa beim falschen Umgang mit Binde- und Gedankenstrich. Die unterscheiden sich einfach. Das ist ja eigentlich bloße Rechtschreibung. Es gibt einfach Regeln, die man lernen muss. Selbstverständlich soll es auch Abweichungen von der Norm geben dürfen, sonst gäbe es tatsächlich nie Neues. Aber auch Regelbrüche müssen gekonnt sein. Und das unterscheidet Profis von ambitionierten Laien doch sehr. (Interview: Karin Dütsch) Abbildung (Foto: K. Parzinger)
Oliver Linke ist mit der Schrift auf Du und Du: Als Entwerfer, Anwender und Lehrender.  

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