Kultur

Michael Lerchenberg war 14 Jahre lang der Theatermacher auf der Luisenburg – jetzt spielt er selbst zum Abschluss den Impresario in Thomas Bernhards „Theatermacher“. (Foto: Harald Dietz)

21.07.2017

Lebenslang im Theaterkerker

In der Titelrolle von Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ verabschiedet sich Michael Lerchenberg von der Luisenburg

Den Basistext von Thomas Bernhard über das grandiose Scheitern eines Theaterkünstlers hatte sich Michael Lerchenberg schon seit Langem für seine Abschiedsvorstellung aufgehoben. Dass sie nun ein Jahr früher als beabsichtigt stattfand, ist auf den Streit mit Wunsiedeler Lokalpolitikern zurückzuführen. Mit einem fulminanten Abschiedssolo endet nun die 14-jährige Intendanz des Luisenburgchefs.

„Vor die Säue geschmissen“

Ein schauspielender, regieführender und Texte produzierender Theaterleiter kommt in den heruntergewirtschafteten Gasthof „Schwarzer Hirsch“ im österreichischen Utzbach. Mit seinem vierköpfigen „Ensemble“, bestehend aus Ehefrau, Tochter, Sohn und ihm selbst, möchte der Staatsschauspieler Bruscon mit einer Aufführung seiner selbst verfassten Menschheitskomödie, dem „Rad der Geschichte“, das abgestumpfte bäurische Landvolk beglücken. Er scheitert. Das liegt einerseits am wirtshäuslichen Ambiente. Dem wortkargen Wirt ist der wöchentliche Blutwursttag unendlich wichtiger als der desolate Zustand des Tanzsaals, in dem die Aufführung stattfinden soll. Die groben Hasstiraden und exakten Bühnenvorstellungen des Theaterkünstlers perlen unverstanden an seiner blutigen Schlachterschürze ab, was Bruscons Abneigung gegen Utzbach, in dem es nur „Schweinemastanstalten, Kirchen und Nazis“ gebe, noch verstärkt. Andererseits ist das Scheitern des Theatermachers familiär bedingt, denn seine „talentlose Brut“ hindert ihn nicht nur in Utzbach, sein Jahrhundertwerk, seine „Schöpfungskomödie“, für ihn adäquat auf die Bühne zu bringen. Die hustende Ehefrau, der tollpatschige Sohn und die widerspenstige Tochter lassen ihn die Tournee als Theaterfalle empfinden.

Jahrhundertealte Perversität

Vor allem scheitert Bruscon an sich selbst. Obwohl er glaubt, Theater sei eine „jahrhundertealte Perversität“, kann er nicht davon lassen. Denn es bedeutet auch Machtgebaren gegenüber den Schauspielern, Überlegenheitsgefühle gegenüber den Banausen und eigene Selbstüberhöhung. „Shakespeare, Voltaire und ich“ – darunter tut er’s nicht, auch Goethe lässt er noch gelten. Regisseur Carl Philip von Maldeghem und Ausstatter Thomas Pekny überlassen Lerchenberg die riesige Bühne für einen knapp zweistündigen, nur selten unterbrochenen Monolog. Spärliche Kulissen (ein elfenbeinfarbenes Geweih eines Achtenders über einem wackeligen Sperrholztor, ein paar Biertischgarnituren, eine Minibühne am Rand) und ein paar kümmerliche Regieeinfälle (der anfängliche Auftritt im Kleinwagen und das Feuerwehrauto im Finale, dazu drei echte Schweine im Koben mit Grunzen vom Band) bieten dem Hausherren, dessen Physiognomie verblüffend an den österreichischen Autor erinnert, genügend Raum zur zwar textbedingten, von Lerchenberg wohl auch gern angenommenen Selbstdarstellung. Der vom Publikum geliebte Luisenburgchef verstört zunächst mit spöttischen Sottisen gegen provinzielle Kirchturmpolitik, aggressiven Eruptionen gegen den Theaterbetrieb und grenzwertigen Demütigungen der Familienmitglieder die wohlwollenden Erwartungen der Zuschauer. Doch mit zunehmender Spieldauer offenbart Lerchenberg auch die Verletzlichkeit des Theaterkünstlers, der allzu oft erfährt, dass seine Anstrengungen (in diesem Falle wortwörtlich) „vor die Säue geschmissen“ sind: „Wir geben das Äußerste und werden nicht verstanden.“ Am Ende ähnelt der berserkerhafte, größenwahnsinnige Kotzbrocken Bruscon dem Steinewälzer Sisyphus, kann er sich doch aus der „lebenslangen Theaterkerkerhaft“ nicht befreien. Für Bruscon endet die Utzbacher Theateraufführung mit dem Feuerfiasko im Pfarrhof – für Lerchenberg brandet minutenlanger Beifall auf. (Horst Pöhlmann)

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