Kultur

Als Tannhäuser hatte Lars Cleveman (unten) eine anstrengende Rolle. Ihm zur Seite Arnold Bezuyen als Heinrich der Schreiber, Thomas Jesatko als Biterolf und Michael Nagy als Wolfram von Eschenbach (von links). (Foto dapd/Timm)

29.07.2011

Luftgitarristen schwitzen in Biogas-Tanks

Thomas Hengelbrock dirigiert "Tannhäuser" zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele

Auf der Wartburg wird rund um die Uhr geackert. So werden die nicht arbeitenden Festspielbesucher bei offenem Vorhang empfangen und blicken in eine bühnenhohe Betonträgerhalle als Einheitsbühnenbild. Der niederländische Objektkünstler Joep van Lieshout hat mit seinem „AVL-Kollektiv“ eine „AVL-Bio-Kreislauf-Fabrik“ installiert: grellbunte Kessel vom „Alkoholator“ bis zum „Vakuumkessel“, dazu ellenlange Schläuche, Kanister, Trichter, Säcke mit Rüben. Werktätige beiderlei Geschlechts verrichten allerlei Arbeiten.
„Wir“ schauen zu: In vier kleinen Blöcken sitzen Statisten als „Festspielpublikum“ links und rechts vom Zentralraum – Brecht grüßt! Die haben es gut, denn sie können immer wieder Dirigent Thomas Hengelbrock im Orchestergraben zuschauen – und das lohnte. Mehr zumindest als die „Action“ in dem kreisrunden Käfig, der in der Bühnenmitte wiederholt hochfuhr: eine verrucht rot ausgeleuchtete Tierparklandschaft mit behaarten Menschenaffen in eifrigem Gewusel, in der Mitte ein verdreckter Tannhäuser in Hemd und Unterhose, dafür aber eine Venus in Paillettenrobe, schwarzer Turmfrisur – und im achten Monat schwanger kostümiert.
Tannhäuser fühlt sich da erotisch zur schlanken Fabrikerbin, der blonden Elisabeth, mehr hingezogen. Die schreitet somnambul im Obergeschoss und geht wegen der Stahlträger auch mal somnambul in die Knie … Später aber rückt sie Tannhäuser, der von seinen vielfältig flippig kostümierten, auch mal Luftgitarre spielenden Sanges-Kumpels sogar eine Hose spendiert bekommen hat, liebesbereit eng auf die Pelle.
Damit wir das alles verstehen, haben Regisseur Sebastian Baumgarten und ein „video-künstelnder“ Mitarbeiter ständig erläuternde Bemerkungen auf kleine Seitenleinwände projiziert, auch einige „Rammstein“-Textfetzen. Auf einer Großleinwand im Hintergrund läuft mehrfach ein gewollt technisch schlechter Film mit Röntgenaufnahmen von der Nahrungsaufnahme, von Amöben-Kulturen, Zell-Teilung – und dann eine flimmernde Madonna, die uns sitzend ihre nackten Füße entgegenreckt. Der „Sängerkrieg“ wird zum Fabrikfest „Mann gegen Mann“ samt einem Schwarzweiß-Werbefilmchen für „AVL“ als Mix aus Fritz Langs Metropolis und Charlie Chaplins Modern Times, garniert mit einer hübschen Nackten.
Die einstündigen Akt-Pausen sind mit Filmchen von Baumgartens Schauspielproben und „Making of …“-Gesprächen der Mitarbeiter gefüllt: Wie sich halt hippe, künstlerisch „voll dekonstruktivistische“ Regie-Stars der Berliner Volksbühnenkultur das „Aufbrechen“ und „Runterholen“ von „ollen Hochkulturkamellen“ so vorstellen.
Trost kam aus der Musik. Thomas Hengelbrock beeindruckte mit deutlich voneinander abgesetzten Orchestergruppen und schön durchhörbarem Vorspiel, mit anrührend intimen Momenten und breit gespannten Tempi: ein Wagner, der weder Bombast noch Überwältigung „schwitzte“.
Neben einer nicht festspielgemäßen Venus klang Camilla Nylunds Elisabeth zwar jugendlich, aber zu wenig dramatisch. Ebenso Lars Clevemans als Tannhäuser, der allerdings mit klarer Artikulation überzeugte und die anstrengende Partie klug disponierte. Aus dem guten übrigen Solisten-Ensemble ragten der kernige Fabrik-Landgraf von Günther Groissböck und der etwas sehr kernige, wenig lyrische Wolfram von Michael Nagy heraus und wurden geradezu erleichtert gefeiert. Denn vorher hatte dieser durchweg eifersüchtige Wolfram schon mal mit dem Rübenmesser bedrohlich hantiert – und dann die irgendwie gestörte Elisabeth im Bio-Gas-Kessel ermordet. Dafür durfte die Film-Madonna im Hintergrund nun auch noch nackten Busen zeigen und die plötzlich multipel gestörten und behinderten „Pilger-Arbeiter“ von „der Gnade Heil“ singen.
Der Buh-Sturm für all das war eindeutig. Mussten die Festspielleiterinnen Eva und Katharina Wagner nach Marthaler und Schlingensief mit Baumgarten nun einen weiteren Vertreter dieser Berliner Volksbühnen-„Prekariatsregie“ engagieren? Mit derartigem Banal-Niveau werden wohl kaum Sponsoren für das aufwändige Jubiläumsjahr 2013 mit den drei Frühwerken Wagners außerhalb des Festspielhauses und dem „Castorf-Ring“ gewonnen.
(Wolf-Dieter Peter)

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