Kultur

Das Kabinettkästchen, ein Meisterstück süddeutscher Schreinerkunst, hat das Bayerische Nationalmuseum im Kunsthandel erworben. (Foto: Laue)

22.07.2011

Merkantile Schatzkammer

Bayern hat in Deutschland die höchste Dichte an Kunst- und Antiquitätenhändlern

Der internationale Kunstmarkt erscheint heute vor allem als Anlagespielplatz für Millionäre. Dass auf regionaler Ebene oft Kultur und Historie verhandelt werden, wird schnell übersehen, wie einige Beispiele aus Bayerns reicher Kunst- und Antiquitätenszene zeigen. Als der Münchner Kunsthändler den schwarzen Standspiegel aus der Biedermeierzeit, auf dem ein vergoldeter Adler mit ausgebreiteten Flügeln saß, erwarb, ahnte er noch nicht, dass er bald die Verwaltung der Bayerischen Schlösser und Gärten anrufen würde. Bei Recherchen zu einem ganz anderen Objekt stieß er auf eine Abbildung aus einem Schloss bei Coburg aus der Zeit um 1840, auf der exakt der selbe Spiegel abgebildet ist. Das Aquarell zeigte das Schlafzimmer des Herzogs von Sachsen-Coburg aus dem pittoresken Schloss Rosenau. Dort steht der Spiegel heute wieder als Teil einer authentischen Ausstattung.
Die Episode ist vielleicht nicht spektakulär – aber sie macht deutlich, dass der Kunstmarkt nicht nur ein Anlagespielplatz für Hedgefonds-Manager und Kaufhauserben ist. Steigt man herab aus der Sphäre der Millionenzuschläge, die auf dem internationalen Parkett für Sensationen sorgen, und schaut sich in Bayern um, wird schnell klar, dass der Kunst- und Antiquitätenhandel zwischen Bamberg und Lindau viel mit der Verwurzelung in der eigenen Kulturlandschaft und ihrer Geschichte zu tun hat. Dass hier eine ganz besondere Art der „Archäologie“ betrieben wird, dass manches wieder an die Oberfläche gespült wird, was in privaten Kammern aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten war.
Bayern hat in Deutschland nicht nur die höchsten Berge, es hat auch – Galerien und Auktionshäuser eingeschlossen – die höchste Dichte an Kunst- und Antiquitätenhändlern. Es gibt sie noch, die Händler, die in den Untiefen der regionalen Historie agieren und den internationalen Trends nicht hinterherlaufen. Sie handeln mit Bierkrügen vom Oktoberfest anno 1912, mit Tölzer Bauernschränken, mit gotischen Madonnen und Kruzifixen aus dem Alpenraum und mit Hinterglasbildern aus Raimundsreut. Der Handel damit blüht deshalb so besonders, weil es in Bayern so viele Sammler mit Sinn für die eigenen Traditionen gibt.
Deswegen ist der Kunsthandel in Bayern aber keineswegs „provinziell“: International spielt er in der oberen Liga mit. 16 von insgesamt 28 deutschen Händlern, die auf der TEFAF, der größten Kunst- und Antiquitätenmesse der Welt (alljährlich im März in Maastricht), vertreten sind, stammen aus Bayern, wie etwa Senger aus Bamberg oder Peter Mühlbauer aus dem niederbayerischen Pocking.
Nach den Gründen für Bayerns satte und vielfältige Antiquitätenlandschaft gefragt, mag es drei Antworten geben: Bayern war nie arm an Künstlern. Die Kunst des Sammelns war und ist eine weitverbreitete Tugend. Die Wirtschaft floriert. Denn nur wo Geld fließt, wo passionierte Sammler agieren, kann der Kunsthandel bestehen. Doch ein Wirtschaftswunderphänomen aus der Nachkriegszeit hat sich hier nicht abgespielt. Kunsthandlungen von Format existierten schon im 19. Jahrhundert. Nur konnte man in Bayern – vielleicht anders als in Berlin – schnell wieder an die großen Traditionen vor dem Nationalsozialismus anknüpfen.
Man denke nur an Bernheimer in München. Schon um 1880 kaufte das kunstorientierte Bürgertum dort Orientteppiche und italienische Renaissancetruhen aus dem 16. Jahrhundert. Selbst der legendäre Reiseführer Baedeker erwähnte die Galerie. Übrigens auch die ersten Paul-Klee-Blätter der Sammlung Rudolf Ibach, die seit Kurzem als Dauerleihgabe zum Bestand des Franz Marc Museums in Kochel gehören (siehe Bericht oben), wurden 1920 in der Münchner Galerie Tannhauser, einer der führenden Institutionen in Sachen moderner Kunst, gekauft. Die Geschichte fand eine Fortsetzung: Ibachs mit moderner Kunst bestens vertraute Tochter heiratete den aus Dachau stammenden Grafiker Otto Stangl. Sie gründeten 1947 in München die Moderne Galerie Otto Stangl, die als eine der ersten Galerien nach dem Zweiten Weltkrieg Sammlern und Museen wieder die deutsche Avantgarde – darunter Franz Marc und viele Künstler des „Blauen Reiter“ nach mehr als einem Jahrzehnt der Verunglimpfung nahe brachte. Ihre eigene Sammlung wurde der Grundstock für das von ihnen initiierte Franz Marc Museum.
Der Kunsthandel und die Museen: Das war in Bayern schon immer eine fruchtbare Symbiose. Das bestätigt auch Renate Eickelmann vom Bayerischen Nationalmuseum. „Ohne die Mitwirkung und das Engagement vieler Kunsthändler hätte das Bayerische Nationalmuseum heute nicht dieses internationale Ansehen“, so die Museumsdirektorin.

Pflege des Kulturguts

Nehmen wir die Kunsthandlung Julius Böhler, die 1880 gegründet wurde und bis heute eine der besten Adressen für gotische und barocke Skulpturen geblieben ist. Die jeweiligen Geschäftsführer besaßen nicht nur exzellente Sammlungen, sie waren Kenner ihres Fachs, Spezialisten, versierte Gesprächspartner. Wer das Beste für seine Sammlung wollte, musste aus diesen Quellen kaufen. Aber es wurden auch Schenkungen gemacht, denn: „Man empfand es auch als Auftrag, das Wissen um die bayerische Kunst zu unterstützen.“ Bis heute arbeitet das Bayerische Nationalmuseum mit dem Kunsthandel zusammen, denn Sammeln ist auch für ein Museum ein nie abgeschlossener Prozess. Eine der neuesten Erwerbungen des Museums stammt vom Münchner Kunstkammerspezialisten Georg Laue: ein Augsburger Kabinettkästchen aus der Zeit um 1620 in Form eines Tempels. Ein Meisterstück eines süddeutschen Kunstschreiners, nur wenige solche Arbeiten haben die Jahrhunderte überstanden. Georg Laue gehört heute zu den renommiertesten Kunsthändlern Bayerns und sieht seinen Beruf auch als „bewussten Beitrag zum Erhalt und zur Pflege unseres Kulturgutes“.
Dass das auch auf anderer Ebene funktioniert, macht der Antiquitätenhändler Karl-Heinz Hiermeier aus Niederbayern deutlich. Hiermeier hat kein Ladengeschäft, er offeriert seine Klosterarbeiten, Charivaris und Milchglaskrüge auf Märkten und Messen wie beispielsweise auf der Kunst & Antiquitäten München. Für Sammler von Volkskunst und für Museen, die sich mit Alltagskultur befassen, ist Hiermeiers Stand Pflichtprogramm. Erst kürzlich hat das deutsche Brotmuseum in Ulm bei ihm ein ganzes Konvolut alter Backmodeln gekauft. Kunsthandel als Kulturfaktor.
Doch brauchen wir das wirklich noch? Ist nicht längst Ebay die große Börse für Kunst und Antiquitäten geworden, aus der man sich mit etwas Sachverstand bedient? Wer so denkt, kennt nicht den Sog, den ein Antiquitätengeschäft oder ein gut sortierter Messestand auf einen Sammler ausübt, kennt nicht das Gefühl, wenn – frei nach Picassos Bonmot „Ich suche nichts, aber ich möchte etwas finden“ – die Augen und die Gedanken auf Entdeckungstour gehen. Der Kunst- und Antiquitätenhandel ist eine merkantile Schatzkammer, in der Museales und Kitsch, Alltägliches und Bedeutsames, das schon morgen in Vergessenheit geraten oder ganz verschwinden könnte, aufbewahrt wird – und die auch etwas vom geistigen wie materiellen Reichtum einer Region verrät. (Sabine Spindler)

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