Kultur

Die Grabszene der Oper „König Roger“. (Foto: Ludwig Olah)

27.03.2015

Mit Dionysos im Boot

„König Roger“: Oper in drei Akten von Karol Szymanowski an der Oper Nürnberg

Es schneit am Mittelmeer. Sacht fallen die Flocken auf schwarze Regenschirme. Unter rostigen Flutlichtmasten steht eine sizilianische Trauergemeinde am offenen Grab und wartet auf den Sarg des alten Königs. Ein Silberstreif zeichnet sich am bleiernen Horizont ab – ein Hoffnungsschimmer ist das noch lange nicht. Träge klatschen die Wellen an den Strand. Möwen schreien. Glockenschläge. Der Leichenzug nähert sich und mit ihm der neue Regent … Lorenzo Fioroni schickt König Roger, dieser so lebenstrunkenen Oper von Karol Szymanowski, eine Begräbnisszene wie eine Grundsatzerklärung voraus. Düster und nebelig bleibt es in den nächsten 80 Minuten.
König Roger ist auf den Spielplänen rar wie sizilianischer Schnee. In den vergangenen Jahren erlebte das verrätselt vieldeutige Hauptwerk des polnischen Komponisten jedoch seine überfällige Neuentdeckung. In Nürnberg wird es nun überhaupt zum ersten Mal gespielt, fast 90 Jahre nach der Uraufführung und in der Originalsprache mit Übertiteln, also auf Polnisch. Schon das ist eine Tat.

Die Menschen erliegen ihm


Szymanowskis Oper dreht sich um König Roger, dessen festgefügtes Reich von einem Jüngling erschüttert wird. Der zieht als Hirte durch das Land, in dem die unterschiedlichsten Kulturen friedlich vereint scheinen, und verspricht dem Volk das Blaue vom Himmel: Freiheit, Liebe, ein sorgloses Leben in Schönheit. Die Menschen erliegen ihm. Sie folgen ihm nach, auch Roxane, Rogers Frau. Selbst der König fühlt sich zum Hirten, dem Mensch gewordenen Gott Dionysos, hingezogen. Zugleich hat er Angst vor ihm, davor, dass sich alles, er, seine Ehe und sein Reich, auflöst im Rausch und in besinnungsloser Hingabe.
Roger sucht, frei nach Nietzsche, die Balance zwischen Apollinischem und Dionysischem, zwischen vernünftigem Maß und orgiastischer Entgrenzung. Die Musik, ihr farbig flirrender, leuchtender, hypnotischer Sehnsuchtszauber, verrät viel Sympathie für den vitalen Gott. Szymanowski setzt Dionysos einer asketisch-repressiven Gesellschaft entgegen, warnt aber vor ihm.
Am Dirigentenpult lässt Jacek Kaspszyk sehr viel davon hörbar werden. Mit der Staatsphilharmonie Nürnberg lotet er die schillernde Partitur aus, baut ekstatische Steigerungen, reißt kosmische Weiten auf. Der stattlich verstärkte Opernchor zieht monumentale Klangwände in die Höhe. Die Solisten geben ihren Figuren Statur und stimmliches Format, allen voran Mikolaj Zalasinski als gefasst leidender Roger, Ekaterina Godovanets, betörend im zweiten Akt, als Roxane und Hans Kittelmann als Edrisi, Rogers arabischer Hofintellektueller. Das utopische Potenzial von Partitur und Libretto aber wird von der dystopischen Szenerie gebrochen.
Paul Zoller hat dafür eine eindrucksvolle Bühnenbildmetapher entworfen: Aus einem zerborstenen, ansteigenden Bodenmosaik ragen marode Lichtmasten empor, ein Raum, der vieles in sich trägt: Toteninsel, Grenzgebiet, Aussichtsplattform, Stadion, Wrack – und zugleich, wenn die Horizontlinie auf und ab schwankt, ein überfülltes Schiff auf Fahrt ins Ungewisse. Flüchtlingsberichte aus drei Jahrhunderten, auf die Zwischenvorhängen projiziert, erzählen von enttäuschten Hoffnungen.
Lorenzo Fioroni blickt aus einer Gegenwartsperspektive auf König Roger. Er inszeniert nicht Szymanowskis Dionysos-Visionen, sondern einen skeptisch-pessimistischen Kommentar zu ihnen. Stimmig und voller Anstöße ist seine Regie dennoch. Fioronis surreal-herben, detailreichen Bildchiffren ergeben eine Geschichte eigener Logik. Das Identitäts- und das Beziehungsdrama treten beiseite, die gesellschaftlich-politischen Aspekte rücken nach vorn.

Ein juveniler Provokateur


Der neue König, argwöhnisch von einem Sicherheitsbeamten gemustert, könnte ein Boss der Cosa Nostra sein. Das Land ist heruntergewirtschaftet. Die Verhältnisse sind ärmlich. Dionysos hat hier leichtes Spiel. Kaugummi kauend schlendert er herein, ein juveniler Provokateur in Militärhose und Kapuzenjacke (Kostüme: Sabine Blickenstorfer). Verführerischen Charme entwickelt David Yim in seiner Rolle nicht. Seinem gusseisernen Gott reichen tenorale Geradlinigkeit und ein Bündel Geldscheine, um Rogers Leute zu gewinnen. Er führt sie als Flüchtlingsschlepper in den Westen, ins Elend, auf eine Müllkippe: Startrampe für den Absturz ins Bodenlose.
Drei Generationen nach Szymanowski könnte Fioronis Diagnose lauten: Nicht an zu wenig, sondern an zu viel Dionysischem, an maßlosem Wollen leidet die Gegenwart. Ob Roger die Balance findet? Einsam, nackt bis auf die Unterhose, klettert er am Ende auf einen umgestürzten Masten und singt der aufgehenden Sonne entgegen. Grün ist ihr Licht. Hoffnung macht es nicht. (Thomas Wirth)

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