Kultur

Faszinierend: Thomas Loibl die tiefe Unsicherheit des despotischen Philipp II. (Foto: Matthias Horn)

25.05.2018

Munkeln im Dunkeln

Martin Kusej inszeniert Schillers „Don Karlos“ am Münchner Residenztheater als Mitfühl-Theater im Retro-Design

Freunden des gepflegten Theaterschlafs ist diese Aufführung anzuempfehlen. Denn wer gern mal im Parkett sein Nickerchen macht, wird oft durch grelles Licht auf der Bühne gestört – doch genau diese Gefahr droht hier nicht: Hausherr Martin Kusej inszenierte am Münchner Residenztheater Schillers Don Karlos als nervenzehrenden Intrigantenthriller bei radikal runtergedimmter Beleuchtung – getreu der alten Weisheit, dass im Dunkeln gut munkeln ist.
Aber so viel Dunkelheit und so viel Gemunkel hat man schon lange nicht mehr auf einer Bühne gesehen, und Schwarzseher kommen von Anfang an auf ihre Kosten, denn erst mal ist es stockfinster. Aus der bedrohlichen Klangkulisse meint man Hubschrauberknattern herauszuhören, und tatsächlich schweben plötzlich zwei Drohnen über der Rampe, die mit ihren Lämpchen ins Publikum leuchten. Merke: Der Überwachungsstaat ist überall.

Blutiger Terror

Eben davon handelt auch das Stück, in dem der Staat, das Spanien des 16. Jahrhunderts, zudem ein blutiges Terrorregime im Dienst der Inquisition ist. Folglich sieht man, wenn der Vorhang hochgeht (und soweit sich das im Dämmerschein erkennen lässt), schwarzuniformierte, vermummte Todesschwadronen, die gefesselte Nackte herbeizerren, um sie platschend in einem Wasserschacht zu versenken, aus dem sie nie mehr auftauchen werden. Später, bei einer öffentlichen Ketzerverbrennung, wird ins Wasserloch noch Benzin geschüttet, das mit einer atompilzartigen Flammenwolke verpufft, wenn ein Scherge es entzündet.
Ansonsten aber gleicht die Bühne einem schwarzen Loch, wo meist nur ein einzelner, milchiger Spot von oben die Szenen in imposante Licht-Schatten-Effekte (Tobias Löffler) verwandelt oder gleich nur drei glimmende Zigarettengluten aus der Finsternis leuchten wie in einem Comicbildchen. Die eisige Beklemmung, die am Despoten-Hof Philipps II. herrscht, wo alle Wände Ohren haben, wo die Verschwörer im Halbdunkel wispern, ist atmosphärisch erschreckend spürbar.
Mit ihren wuchtigen Bildern irgendwo zwischen Caravaggio und B-Movie-Ästhetik wirkt die Inszenierung durchaus beeindruckend, stellenweise überwältigend – wiewohl auf Dauer (vier Stunden) allzu monoton. Fast scheint es, als habe Kusej das ganze Schiller’sche Pathos ins Optische verlagert, um es in der Sprache eher flach zu halten. Da donnern keine knalligen Sentenzen daher, obwohl fast nichts gestrichen ist.
Die meisten Figuren werden von den – natürlich schwarz gewandeten – Schauspielern als brüchige Charaktere gegeben, die, gefangen in den Strukturen einer brutalen, verselbstständigten Machtmaschinerie, Täter und Opfer zugleich sind. „Von Etikette ringsum eingeschlossen“ scheint es fast unmöglich, ein Mensch zu bleiben und nicht automatisch zum heimtückischen Taktierer, Denunzianten, Monster zu mutieren.
Auch Thomas Loibls König Philipp II. wirkt erst wie ein seelenloser Roboter der Machtausübung, der Gefühle überhaupt nicht versteht. Aber allmählich zeigt sich, dass hinter der Übererfüllung von Rollenzwängen tiefe Unsicherheit steckt. Wie Loibl aus dieser Allerweltspsychologie heraus der Figur echte Tragik erspielt, das ist faszinierend.

Meisterhaft und effektsicher

Wirklich hell wird es an diesem Abend auch nur im berühmten Gespräch zwischen König Philipp und dem Marquis von Posa, der dem Herrscher ohne Scheu die Wahrheit sagt, worauf dieser freudlose Apparatschik richtig aufzublühen scheint.
Natürlich ist es nicht so, dass man Don Karlos noch nie in dieser Manier gesehen hätte. Im Gegenteil, die Aufführung wirkt wie eine meisterhafte, effektsichere Replik des Inszenierungs-Stils der 1980er- oder 1990er-Jahre. Bühnenkunst auf der Höhe der Zeit ist das nicht, sondern vielmehr traditionelles, perfekt gemachtes Mitfühl-Theater. Aber bekanntlich hat Retro-Design auch einen beträchtlichen Reiz. (Alexander Altmann)

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