Kultur

Nervosität, Unruhe am Vorabend des Ersten Weltkriegs strahlt Franz Marcs "Das arme Land Tirol" (1913) aus. (Foto: Bayer)

15.11.2013

Nervöses Zucken im Paradies

Das Franz Marc Museum in Kochel zeichnet ein beeindruckendes Panorama vom Vorabend des Ersten Weltkriegs

Es ist sicherlich nicht nur der Abstand von genau 100 Jahren, der dieses Jahr so interessant macht: „1913: Ein Moment höchster Blüte … und doch wohnt dem gleißenden Anfang das Ahnen des Verfalls inne.“ Theater stellen ihre ganze Saison unter dieses Motto, das Buch 1913. Der Sommer des Jahrhunderts von Florian Illies war ein enormer Erfolg und hat das Franz Marc Museum in Kochel zu einem äußerst erfolg- und aufschlussreichen Panorama vom Vorabend des Ersten Weltkriegs angeregt: 1913: Bilder vor der Apokalypse. Das führt seine Besucher mit einem ganzen Saal in die von Illies übernommene Monatschronologie dieses Jahres ein: politische, wirtschaftliche, künstlerische, anekdotische Ereignisse – vom 65. Thronjubiläum Kaiser Franz Josefs bis zum Diebstahl der Mona Lisa und ihrer triumphalen Rückkehr nach Paris.
Und überall trifft man an den von Cyrill Mariaux gestalteten Wänden auf die Namen, die man hier in Kochel, in Murnau, Sindelsdorf, Penzberg kennt: Marc, Macke, Campendonck, Kandinsky & Co. Mit dieser „Lounge 1913“ entlastet das Ausstellungskonzept von Cathrin Klingsöhr-Leroy die eigentliche Bilderparade vom vielen Lesen und beeindruckt lieber mit signifikanten und themenbezogenen Stücken aus der eigenen und den Sammlungen vieler Leihgeber.
Die Weltkriegsapokalypse kündigt sich an, kaum dass man die Sonderausstellung im zweiten Stock betreten hat: In Ludwig Meidners Bleistift- und Kohlezeichnungen wie Straße bei Nacht versprühen Straßenlaternen ihr Licht wie Feuer von Granaten. August Mackes Spaziergänger in Park stehen wie zugespitzte Silhouetten im unruhig schraffierten Gelände. Es gibt keinen Raum dieser Ausstellung, in dem einen dieses Unruhige, Eruptive, Gefährliche nicht anspringen würde – selbst bei so scheinbar friedlichen Themen wie einem Mädchen (Erich Heckel) oder der Apfel-Eva von Kokoschka. Heckel hat wohl am deutlichsten die unheimliche, unheildrohende Vorkriegssituation gespürt und gemalt. Sein Kinderspielplatz von 1912 liegt gefährlich gelb in einem dunklen Tannenwald, die Kinder wühlen wie Alberichs Zwerge im Sand.
Dieses Erdrückend-Bedrohliche setzt sich fort bis in den letzten Saal „Apokalypse und Paradies“ und Heckels suggestiv-unheimlichen Parksee, in die geradezu psychotische Unruhe bei Ernst Ludwig Kirchner, zu wie kahl gefressenen Landschaften und zur Vorwegnahme kommenden Unheils mit den Bildern erster Verwundeter.
Postkarten, Briefe, Telegramme sind als Medien des Austauschs zwischen den Künstlern in ganz Europa ein wichtiges Element der Ausstellung (ein Trend übrigens auch in anderen Museen): Der Polizeihund wird in Wut versetzt heißt eine Postkartenzeichnung Paul Klees von 1913. Selbst die Katzen von Marc strömen in ihrer wunderbaren Farbigkeit die Gefährlichkeit aus, die Klee hundekläffend zugespitzt hatte.
So ist dann die 1913-Schau in ihrer Vielfalt verschiedener Medien eine Fundgrube für ausnahmslos faszinierende Facetten des Themas. Wenn man noch die Fotografien von Heinrich Kühn aus dem Münchner Stadtmuseum dazu nimmt in ihrer Obskurität und den Eugène-Atget-Parallelen aus Frankreich.
Das alles thematisiert nicht nur den heraufziehenden Krieg, sondern auch die unzähligen Neuerungen in Wissenschaft oder Kunst: Kubismus, Futurismus, Suprematismus oder die Auflösung des Gegenständlichen im Rayonismus. Aufschlussreich sind da solche programmatischen Studien wie von Kasimir Malewitsch (Kubismus von 1913), faszinierend selbst so kleine Gouachen wie Zwei Pferde von Marc. Wie eine Ikone hat man mitten in diese bildnerischen Zeugnisse eine Erstausgabe von Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gestellt.
(Uwe Mitsching)
Bis 19. Januar. Franz Marc Museum, Franz Marc Park, 82431 Kochel.
Di. bis So. 10 –18 Uhr.
www.franz-marc-museum.de Abbildung (Foto: Franz Marc Museum): Etwas Suggestiv-Unheimliches haftet Erich Heckels Parksee (1914) an, das im Ausstellungssaal „Apokalypse und Paradies“ hängt. 

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