Kultur

Revoluzzer Gleb (Sebastian Blomberg) triumphiert und bringt das Zementwerk wieder in Gang. (Foto: Smailovic)

10.05.2013

Nostalgie in Pastellgrau

Exakte Schauspielerführung: Altmeister Dimiter Gotscheff inszeniert Heiner Müllers "Zement"

Ja Sacklzement, kann man da nur sagen! Und das ist wortwörtlich zu verstehen. Denn am Schluss wuchtet der Protagonist Gleb tatsächlich einen Zementsack an die Rampe, nachdem dieser Held der sozialistischen Arbeit zuvor immer wieder einen Steinbrocken über die kahle, zementgrau ausgeschlagene Bühne gehievt hatte wie Sisyphus persönlich.
Aber fast so interessant wie das Bühnengeschehen war diesmal ein Blick in den Zuschauerraum: Gebannt und mucksmäuschenstill saß das Staatstheaterpublikum auf dem Stühlchen, um „freudig und freiwillig“ eine Kommunisten-Geschichte aus der Frühzeit der Sowjetunion zu verfolgen, so als sähe es ein werktreu aufgeführtes Stück von Schiller. Es war aber nur ein Stück von Müller.
Von Heiner Müller nämlich, dem deutsch-deutschen Star-Dramatiker der 80er, der nach seinem Tod 1996 fast spurlos in der Versenkung verschwand. Zement heißt sein 1973 in Ostberlin uraufgeführtes Revolutionsdrama nach dem gleichnamigen Roman von Fjodor Gladkow. Es handelt von Gleb, dem Maschinenschlosser aus der Zementfabrik (wunderbar brüchig-monumental gespielt von Sebastian Blomberg), der nach der Oktoberrevolution heroisch für die Kommunisten kämpft.
Aber als der Krieger blutverschmiert heimkehrt, haben dort bereits die satten Sowjet-Bürokraten das Ruder übernommen, „die Revolution erstickt sich mit Papier“, die alte Unterdrückung ist nur durch eine neue abgelöst. Und doch gelingt es dem menschlich-edlen Revoluzzer Gleb, über die gefühllosen Funktionäre zu triumphieren, und das zerstörte Zementwerk wieder in Gang zu bringen.
Wobei die Begeisterung des Premierenpublikums, das nach vier konzentrierten Stunden im Münchner Residenztheater euphorisch jubelte, vielleicht weniger daher rührte, dass es in den Zeiten der Finanzkrise plötzlich „die Signale“ gehört hätte und sich voll proletarischem Klassenbewusstsein „zum letzten Gefecht“ drängte. Grund für die Faszination war wohl eher Heiner Müllers plötzlich sehr traditionell anmutender DDR-Klassizismus mit seinem herben Pathos, seiner wuchtig-klaren Sprache und der perfekt gebauten Konflikt-Dramaturgie. Wie weggeblasen hingegen schien alles Mephistophelisch-Schillernde, jener doppelbödige Flirt mit dem Zynismus, den wir seinerzeit bei Müller zu sehen meinten und der offenbar mehr von der Aura seiner Person insinuiert war.
Vor allem aber dürfte sich das Publikum von der Zementstaub-überzuckerten Inszenierung des Regie-Altmeisters Dimiter Gotscheff an das erinnert gefühlt haben, was Dieter Dorn zu seiner besten Zeit in München auf der Bühne zelebrierte: Die punktgenaue Schauspielerführung, den archaisierenden Gestus, passend zu Müllers antik-mythologischer Unterfütterung der Klassenkampftragödie. Und schon die pastellgrauen Kostüme des Chors, der mit seinen Zombie-Masken das Volk darstellt, gemahnten an die Dorn-Ästhetik. Die Internationale der Theater-Nostalgiker kommt bei dieser musealen Aufführung also voll auf ihre Kosten. Da würde es der Genosse Kritiker natürlich niemals wagen, das Wort „Kitsch“ in den Mund zu nehmen. (Alexander Altmann)

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