Kultur

03.05.2013

Organische Einheit

Kurswechsel bei der musica viva in München

Alles braucht seine Zeit. Bei der musica viva ist das nicht anders. Nach seiner ersten laschen Spielzeit ist Winrich Hopp richtig aufgeblüht – endlich. Seit Herbst 2011 wirkt Hopp als neuer künstlerischer Leiter bei der traditionsreichen Reihe für neue Musik des Bayerischen Rundfunks (BR) in München – aber erst in seiner zweiten Spielzeit 2012/13, hat er die notwendigen Weichen gestellt. Standen in seiner ersten Saison noch Klassiker wie Charles Ives, John Cage, Olivier Messiaen oder Pierre Boulez im Fokus, so ist er jetzt im späten 20. und 21. Jahrhundert angekommen.
Und das ist auch gut so: Seitdem es die „Klangaktionen“ nicht mehr gibt, herrscht auf diesem Gebiet in München ein sträfliches Manko. 1960 von Josef Anton Riedl gegründet, hatte die Reihe bis vor wenigen Jahren experimentelle Musik geboten, die man sonst nicht zu hören bekam. Diese Lücke wurde noch nicht geschlossen, die musica viva kann und sollte hier helfen.
Ein besonderer Höhepunkt von Hopps zweiter Spielzeit war nun die Uraufführung eines neuen Violinkonzerts von Salvatore Sciarrino; der 1947 geborene Italiener zählt zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Mit der Oper Luci mie traditrici hat Sciarrino nicht zuletzt das Musiktheater grundlegend erneuert. Und auch im neuen Violinkonzert Giorno velato presso il lago nero, das Carolin Widmann und das BR-Symphonieorchester unter Jonathan Nott gestalteten, lässt Sciarrino aus geräuschhaften Klangpartikeln, melodischen Fragmenten, fragilen Obertönen und Glissandi einen Hörkrimi erwachsen – höchst expressiv und zwingend.
Schon 1985 hatte Sciarrino mit Allegoria della notte ein Violinkonzert geschrieben. Damals befragte er noch diese Gattung, indem er Mendelssohns berühmtes Violinkonzert durch die Takte huschen ließ. Das neue Werk bricht hingegen das Genre von Innen auf. Deswegen wird mitunter die Solovioline von zwei solistischen Orchestergeigen begleitet. Ein geschlossener Klangorganismus entsteht, wobei das Orchester als Schatten der Solovioline fungiert.

Viele Querverweise

Das passte gut zu Helmut Lachenmanns Klavierkonzert Ausklang von 1984/85, mit dem Sciarrinos neues Werk gekoppelt wurde (großartig: Pierre-Laurent Aimard als Solist). Ähnlich wie Sciarrino ergänzt Lachenmann das Soloklavier mit einem zweiten Flügel – auch hier kein Wettstreit, sondern eine organische Einheit.
Die Uraufführung von Rebecca Saunders of waters making moan für Akkordeon solo rundete den Abend ab (Solist: Teodoro Anzellotti). So wurde ein sinnstiftendes Programm geboten, das zahlreiche Querverweise herstellte – auch das war früher bei der musica viva nicht selbstverständlich. Dieser erfreuliche Kurswechsel wird in der kommenden Spielzeit fortgesetzt. Insgesamt stehen 13 Uraufführungen an, darunter von Lachenmann, Beat Furrer, Georg Friedrich Haas und Martin Smolka. Mit Un’immagine di Arpocrate für Klavier, Orchester und Chor gibt es noch einmal ein Werk von Sciarrino, allerdings ist das in den 1970er Jahren entstanden. (Marco Frei)

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