Kultur

Der Dichter und seine Muse: Vincent Wolfsteiner als Andrea Chénier, Ekaterina Godovanets als Maddalena. (Foto: Jutta Missbach)

05.04.2013

Plakativ mit Fragezeichen

Nürnberg bejubelt Guy Montavons "Andrea Chenier"

Andrea Chénier taucht wieder öfters auf. Die Zeiten sind demnach. Eine Oper über arrogante Eliten, ein darbendes Volk und eine Revolution, die ihre Ideale unter die Guillotine legt, könnte was zu sagen haben. Aber die Schrecken der französischen Terrorherrschaft sind so weit weg, dass sie sich auf der Bühne flugs in üppige Schauwerte und zündsichere Melodien verwandeln. Genau daraufhin haben Umberto Giordano und sein Librettist Luigi Illica ihren Andrea Chénier entworfen.
Und Guy Montavon gibt der Oper, was der Oper ist. Er hat das veristische Repertoire-Randstück am Staatstheater Nürnberg inszeniert: als aufwallende Dreiecksgeschichte inmitten eines adretten Revolutionspanoramas. Am Premierenabend gab’s viel Beifall. Vor allem die Sänger wurden bejubelt.
Als gewiefter Bühnenpraktiker lässt Guy Montavon das schwere Analyse-Instrumentarium zu Hause. Ideologiekritik am Genie-Kult und Frauenbild des 19. Jahrhunderts: geschenkt! Andrea Chénier, dieser dichtende Sublimationsvirtuose, und seine adelige Muse Maddalena de Coigny singen gar zu schön. Auf detailpusseligen Historien-Realismus verzichtet Montavon. Edoardo Sanchi hat ihm ein symbolschickes Bühnenbild mit Schwebefaktor gebaut. Silberne Rokokowände zwingen die vier Szenenbilder zusammen. Als der Umsturz sich ankündigt, hängen sie in der Luft. Auch das Volk verliert die Bodenhaftung. Im Gerichtsaal sitzt es auf Schaukelbänken. Im Kerker, wo Chénier einsam an seinem Nachruhm dichtet, sind die Gefangenen unter die Decke gekettet.
Handlung und Figuren setzt Montavon mit einem Faible fürs Plakative und stellt, nicht ohne Ironie, dezente Nachdenk- und Fragezeichen dazwischen. Die Adeligen sind hohle Partygänger, die sich in zuckergussbunten Gewändern zu Tode amüsieren (Kostüme: Roswitha Thiel). Das Volk entpuppt sich, malerisch arrangiert, als manipulierbare Masse. Am Ende umzingelt es gaffend das Liebespaar.
Aus dem Orchestergraben kommt Hochspannung. Philipp Pointner tut mit der Staatsphilharmonie alles, um die Emotionen in Giordanos Verismo-Partitur am Brodeln zu halten. Plastisch modelliert er deren szenisch-illustrativen Momente, zielsicher steuert er die hochfahrenden Leidenschaften an. Das hat Zug und Farbe.
Mikolaj Zalasinski zeichnet seinen Carlo Gérard, die reichste, weil widersprüchlichste Figur der Oper, recht düster. Den Hass auf die adeligen Ausbeuter donnert er wie einen finsteren Fluch, nachtschwarze Verbitterung in der Stimme. Das hat Erzschurken-Format. Zalasinski braucht aber lange, bis er menschlichere Züge, Gérards Mitgefühl und Zerrissenheit, glaubhaft machen kann.

Kurzer Schreck

Den tenoralen Vokalekstatiker Andrea Chénier stemmt Vincent Wolfsteiner mit bewundernswerter Kraft und ausdauerndem Überschwang. Je größer Chéniers Enthusiasmus desto besser.
Ekaterina Godovanets hat für ihre Maddalena auch lyrische Töne und nutzt sie in ihrer Arie „La mamma morta“ als Basis für große Gestaltungsbögen.
Trotz all der todestrunkenen Euphorie, zu der Wolfsteiner und Godovanets fähig sind, verhindert Guy Montavon eine finale Apotheose. So viel Verismo muss ein. Das Paar kniet bereit zur Exekution. Und auf einen Schlag krachen die herabhängenden Sträflingsketten herunter. Schnell wie ein Fallbeil fällt der Vorhang. Hartes Geräusch. Kurzer Schreck. Keine Verklärung. Die gibt’s bei Wagner. (Thomas Wirth)

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