Kultur

Wie ein dadaistischer Pumuckl überzeugt Julia Richter in dem Achternbusch-Stück, wo sie die Liebesgöttin Aphrodite ebenso gibt wie die Gottesmutter Maria. (Foto: Gabriela Neeb)

17.02.2017

Poetischer Irrwitz

Pinar Karabulut inszeniert "Dogtown Munich": Ein Herbert Achternbusch-Opus, das sich lohnt

Man hatte es halb gehofft und halb befürchtet, dass das ein nostalgischer Abend werden würde im Münchner Volkstheater. Denn auf dem Programm stand nichts Geringeres als eine Achternbusch-Uraufführung.
Für die Jüngeren, denen der Name Herbert Achternbusch nicht so geläufig ist: Dieser Münchner Schriftsteller, Maler, Filmemacher war in den 70er und 80er Jahren das gehätschelte und gefeierte Enfant terrible der deutschen Kulturszene, das avantgardistische Urviech vom Dienst, das Minister zum Toben brachte, der Hohepriester einer hinterfotzig kunstlosen Art-Brut-Ästhetik, verlegt bei den edelsten Verlagen, inszeniert von den führenden Regisseuren. Irgendwann war es damit vorbei. Wie das kam? Man weiß es nicht. Inzwischen ist Achternbusch 78 und auf lokale Größe geschrumpft, halb verblasster Heros, halb skurriles Original.

Höherer Blödsinn

Wie sollte man also nicht wehmütig werden bei dem, was auf der Kleinen Bühne (so weit ist es gekommen) des Volkstheaters bevorstand? Und ein bisschen war es dann auch genau so. So wie früher, in jener glorreichen Zeit. Weil Achternbusch eben immer Achternbusch bleibt, weil seine Texte ein formloser Redeschwall sind, eine strudelnde Mischung aus Schmarrn, faszinierender Sprachkraft und höherem Blödsinn. Und weil aus diesem Brei ständig auch Blitze eines betörend poetischen, zarten Irrwitzes zucken. Wie bei diesem ewigen „Föhnforscher“ nicht anders zu erwarten, geht es in Achternbuschs neuem Stück Dogtown Munich um seine hassgeliebte Heimatstadt. Irgendwie zumindest. Denn eigentlich geht es um alles und nichts: Von den „Gemütlichkeitsfalten des Geistes und Leibes“ bis hin zu Beethoven, der auch nur „eine außergewöhnliche Zerstörung von Stille“ ist. Zudem hängt ein riesiger Neon-Leuchtring von der Decke, der als Heiligenschein fungiert – vielleicht auch als Ufo. Die Muttergottes steigt im Rauschgoldengel-Outfit von der Mariensäule herab, entpuppt sich als glühende Hitler-Verehrerin, aber auch als Transformation der Liebesgöttin Aphrodite und treibt allerlei blasphemische Obszönitäten, bis sie als Gogo-Girl vom plötzlich rot leuchtenden Heiligenschein erschlagen wird. Was das alles soll, versteht man höchstens ahnungsweise, aber dem Vergnügen tut das keinen Abbruch. Und doch war alles auch ganz anders als erwartet. Weil die junge Regisseurin Pinar Karabulut erkannt hat, dass Achternbusch-Stücke immer schon „Textflächen“ waren, lange bevor es dieses Wort gab. Weshalb sie auch so zu behandeln sind: als Material, das erst gestaltet werden muss. Also hat sie den Text rasant rhythmisiert, durch groteske Betonungen und lautpoetische Verfremdungen à la Ernst Jandl ins Artistische hochgeschraubt. Dementsprechend sind auch die Aktionen der Schauspieler in eine herrlich absurde Zappelphilipp-Choreografie überdreht. Moritz Kienemann, Leon Pfannenmüller, Timocin Ziegler legen (nicht zuletzt sportliche) Höchstleistungen hin. Allen voran kobolzt die unglaublich wandlungsfähige Julia Richter herum wie ein dadaistischer Pumuckl. Nein, das war keine pure Nostalgie, das war ein erfrischend junger Zugriff auf einen Autor, den so wiederzuentdecken sich lohnen könnte. (Alexander Altmann)

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