Kultur

Auf der Voderseite des Siegels zur Goldenen Bulle ist der Kaiser selbst abgebildet. (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv)

25.07.2014

Regeln für die Gefährten der Diebe

Mit der Goldenen Bulle wurde erstmals im Alten Reich gelebtes Recht festgeschrieben - jetzt steht sie auf der Liste des Unesco-Weltdokumentenerbes

Wegen ihres wertvollen Siegels heißt sie Goldene Bulle. Damit erließ Kaiser Karl IV. so etwas wie ein Grundgesetz für sein Reich. Sieben originale Ausfertigungen sind erhalten – zwei davon gehören zu den Schätzen in den staatlichen Archiven Münchens und Nürnbergs. Die Goldene Bulle gehört nun zum Weltdokumentenerbe, die entsprechenden Urkunden werden am kommenden Montag in München ausgehändigt.
Im Laufe seiner Regentschaft als deutscher König seit Juli 1346 und als römisch-deutscher Kaiser seit April 1355 hat Karl IV. bis zu seinem Tod am 29. November 1378 tausende von Urkunden ausgestellt und siegeln lassen. Sicherlich die umfangreichste und wichtigste davon war diejenige, welche bei einem Hoftag zu Nürnberg am 10. Januar 1356 feierlich verkündet worden ist. Das Dokument ist auf kaiserliche Initiative entstanden und hatte jahrhundertelang bis zum Ende des Alten Reichs Gültigkeit. Seine entscheidende Bedeutung liegt in der eindeutigen Regelung der Wahl des deutschen Königs nach dem Mehrheitsprinzip (keine Doppelwahl oder unklare Wahl mehr), in der Festlegung von sieben Kurstimmen sowie in der Wahrung und Sicherung des Landfriedens.

Lieb und teuer

Karl IV. selbst bezeichnete das Werk als „unser keiserliches rechtbuch“, nachdem noch im selben Jahr in der Reichsstadt Metz (bis 1552 zum Deutschen Reich gehörig) auf einem dort anberaumten Hoftag am 25. Dezember eine Erweiterung um acht Kapitel beschlossen worden war.
Wegen des großen Umfangs konnte der durchweg lateinische Text nicht mehr auf einem Stück Pergament niedergeschrieben werden, sondern wurde von der kaiserlichen Kanzlei in Form eines Büchleins von 24 Blättern Pergament zusammengefasst. Zur Beglaubigung der Urkunde mit einem Siegel hat man den Pergamentblock unten am Bund gestanzt und durch die beiden Löcher die Siegelschnur gezogen, so dass es unterhalb des Bändchens frei hängen konnte.
Im Gegensatz zum Majestätssiegel aus Wachs galt als vornehmste Form der Beglaubigung der römisch-deutschen Kaiser ein goldenes Siegel – wofür die Empfänger aber außerordentlich hohe Gebühren an die kaiserliche Kanzlei zahlen mussten.

Massive Schelte

Erst um 1400 ist die auf Hoftagen in Nürnberg und Metz verabschiedete Urkunde Kaiser Karls IV. schlichtweg als die „Goldene Bulle“ bezeichnet worden – obwohl der Regent während seiner Herrschaft viele Urkunden auf diese Weise hat beglaubigen lassen.
Das Siegel besteht nicht aus massivem Gold sondern aus zwei am Rand zusammengelöteten, mit Wachs ausgefüllten starken Goldblechen. Auf der Vorderseite ist der thronende Kaiser Karl IV. mit den Herrschaftsinsignien abgebildet. Auf der Rückseite ist eine stark stilisierte Ansicht der heiligen Stadt Rom („Aurea Roma“) zu sehen.
Wie jede Urkunde begann auch diese mit der sogenannten Invocatio: „Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreifaltigkeit zum Glück und Heil! Amen.“ Es folgte die feierliche Einleitung, in welcher Karl IV. die Ausstellung der Urkunde mit ungewöhnlich scharfen Worten begründete: „Jedes Reich, das in sich selbst zerspalten ist, wird veröden, denn seine Fürsten sind Gefährten der Diebe geworden.“
Trotz der unverhohlenen Schelte profitierten die Kurfürsten am meisten von den Bestimmungen der Goldenen Bulle, denn ihre Territorien durften nicht mehr geteilt und (bei den vier weltlichen) nur an den Erstgeborenen vererbt werden.
Neben der Steigerung seiner kaiserlichen Autorität hat Karl IV. damit auch zur Festigung der böhmischen Königsmacht beigetragen, denn er bzw. seine Nachfolger gehörten fortan fest zum Kreis der sieben Königswähler.
Auf ganz elegante Weise haben Karl IV. und die Kurfürsten das Problem des päpstlichen Anspruchs auf Billigung der Wahl des Kaisers gelöst. Dies wurde in der Goldenen Bulle gar nicht thematisiert, stattdessen aber die Stellvertretung des Kaisers bei Thronvakanz dem Pfalzgrafen bei Rhein und dem Herzog von Sachsen als Reichsvikare übertragen.
Das Alte Reich war politisch und gesellschaftlich streng hierarchisch gegliedert, und so wurde auch eine feste Rangfolge unter den drei geistlichen Kurfürsten (der Erzbischof von Mainz, der Erzbischof von Köln und der Erzbischof von Trier) sowie den vier weltlichen Kurfürsten (der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg) festgeschrieben.
Die Goldene Bulle wird das „Grundgesetz“ des Heiligen Römischen Reichs genannt. Zurecht fragt man sich, wie diese Staatlichkeit seit mehreren Jahrhunderten ohne geschriebene Verfassung bestehen konnte, denn erst die Wahlkapitulationen ab 1519, der Augsburger Religionsfriede von 1555 und das Westfälische Friedenswerk von 1648 galten als die einzigen, später noch schriftlich dokumentierten Vertragswerke.
Das im 10. Jahrhundert entstandene Reich gründete auf Stammesherzogtümer und dem Lehenwesen. Diese Normen und Werte waren im kollektiven Gedächtnis der Menschen über Generationen hinweg gespeichert und die regelmäßige Wiederkehr und der gewissenhafte Vollzug symbolischer Handlungen waren sowohl Anerkennung einer gesetzten Ordnung wie Garantie für unangefochtenes Weiterbestehen. In der historischen Forschung spricht man von symbolischer Kommunikation, wie dies auch beim Ritual der Königserhebung zu beobachten war.
Diese Traditionen aufgreifend und in manchen Bereichen auch zu seinen Gunsten umdeutend, hat Kaiser Karl IV. mit der Goldenen Bulle erstmals eine Festschreibung gelebten Rechts veranlasst.
Nun wurden nochmals klar die institutionellen und zeremoniellen Aufgaben der sieben Königswähler definiert. Der Erzbischof von Mainz fungierte als Reichserzkanzler für Deutschland, der Erzbischof von Köln als Reichserzkanzler für Italien und der Erzbischof von Trier als Reichserzkanzler für Burgund. Dem König von Böhmen fielen bei Hofe das Amt des Erzmundschenks, dem Pfalzgrafen bei Rhein das des Erztruchsesses, dem Herzog von Sachsen das des Erzmarschalls und dem Markgrafen von Brandenburg das des Erzkämmerers zu.
Im Grunde ist mit der Goldenen Bulle von 1356 die Territorialisierung des Reichs und die Entwicklung vom Personenverband zum administrativ verrechtlichen Staat vorangetrieben worden.

Geizige Nürnberger?

Nutznießer waren die Kurfürsten, von denen sich die drei geistlichen und der wittelsbachische Pfalzgraf bei Rhein jeweils ein mit Goldener Bulle beglaubigtes Exemplar ausstellen ließen. Aber auch die Reichsstadt Frankfurt wünschte ein mit goldenem Siegel versehenes Exemplar, weil im 28. Kapitel festgelegt war, dass die „feierliche Wahl des Römischen Königs und künftigen Kaisers in der Stadt Frankfurt“ abzuhalten war. Diesem Wunsch schloss sich später auch der Nürnberger Rat an, da der erste Reichstag „in der Stadt Nürnberg“ stattfinden sollte.
Den Nürnbergern genügte allerdings die Ausfertigung einer Urkunde mit einem Majestätssiegel in Wachs. Waren die Ratsherren sparsam oder erschien ihnen die Privilegierung nicht hochwertig genug? Keinesfalls, denn der Rat hatte eigens zur Krönung Kaiser Karls IV. an Ostern des Jahres 1355 eine Delegation nach Rom entsandt. Von dort brachten die Abgeordneten allein acht Urkunden des frisch Gekrönten mit, welche sie mit goldenen Bullen hatten besiegeln lassen. (Peter Fleischmann) Lagerorte aller sieben zum Weltkulturerbe erklärten Exemplare der Goldenen Bulle:
• Böhmisches Exemplar (Karl IV.): Österreichisches Staatsarchiv Wien
• Mainzer Exemplar (Ebf.v. Mainz): Österreichisches Staatsarchiv Wien
• Kölner Exemplar (Ebf. v. Köln): Universitätsbibliothek Darmstadt
• Trierer Exemplar (Ebf. v. Trier): Hauptstaatsarchiv Stuttgart
• Pfälzer Exemplar (Pfalzgraf b. Rh.): Bayerisches Hauptstaatsarchiv München
• Frankfurter Exemplar (Stadt Frankfurt): Stadtarchiv Frankfurt
• Nürnberger Exemplar (Stadt Nürnberg): Staatsarchiv Nürnberg Abbildung (Foto: Staatsarchiv Nürnberg)
Das Nürnberger Exemplar der Goldenen Bulle in etwas sparsamerer Ausführung: Das Siegel ist nur aus Wachs.

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