Kultur

Ungewohnt, weil nicht andachtsvoll, ist auch für die Solisten und den Chor diese szenische Bach-Interpretation: Kniend Martin Platz, dahinter Vera Semieniuk, Sara-Maria Saalmann, Jongmin Yoon, Anne Preuß und Vera Egorova-Schönhöfer. (Foto: Jochen Quast)

15.12.2017

Steinigen zum Credo

Das Theater Regensburg stellt in seiner szenischen Aufführung von Bachs „h-moll-Messe“ das menschliche Elend über den Hosiannajubel

Festlich und flammend rot ist die Bühne, das „Soli Deo Gloria“ (Gott allein sei die Ehre) prangt in goldenen Lettern: Was will man mehr zu Weihnachten? Aber das Theater Regensburg, sein Ideengeber und Intendant Jens Neundorff von Enzberg sowie Regisseur Jochen Biganzoli, wollen etwas ganz anderes mit ihrer szenischen Umsetzung von Johann Sebastian Bachs h-moll-Messe. Sie zeigen unter dem Motto „Kyrie“ („Erbarme dich“) alles Elend dieser Welt, stellen Bachs Credo-Glaubenssicherheit infrage, lassen das Hosianna ganz leise aus dem Lautsprecher spielen und das Agnus Dei über den Leichen einer zerbombten Stadt singen. Am Ende bleibt ihnen zu Bachs pompösem „Dona nobis pacem“-Trompetengeglitzer nichts anderes übrig, als wieder das Rot vom Schnürboden herunterzulassen.
Dieses Rot im Bühnenbild von Wolf Gutjahr ist das einzige bisschen Glanz in diesem Kaleidoskop aus Momentaufnahmen von menschlichem Elend parallel zu Bachs Arien und Chören: erst mit Beispielen aus dem individuell-persönlichen Bereich, dann in einer Ausweitung auf globale Politik und Katastrophen. Drei Kinder werden es schließlich sein, die fröhlich und auf Video das Rettungskonzept formulieren: erwiesenermaßen vergeblich und auch ohne Musik von Bach. Für die durchweg hervorragenden Solisten (Anne Preuß, Sara-Maria Saalmann, Vera Egorova-Schönhöfer, Vera Semieniuk, Martin Platz und Jongmin Yoon) sowie den Chor unter der Leitung von Alistair Lilley, der auch sein Philharmonisches Orchester in ungewohnte Bach-Dimensionen führen muss, für sie alle bringt diese Aufführung eine weitgehend veränderte Bühnensituation, einen veränderten Prozess der Annäherung. Nicht mit andachtsvollem Blick in die Noten, ohne Halt am Notenständer, sondern ein fortwährendes Eingreifen in die arien-kurzen Szenen, die alle unter dem Motto des Erbarme-dich stehen.

Bitterböse reingefunkt

Nicht immer gelingt es Biganzoli, den bestens vom Dirigenten einstudierten Chor zu einem wirklichen Träger der Handlung zu machen, so, wie es in der Situation gelingt, wenn er der Störenfried ist in einer poppig aufgemotzten Christe-eleison-Poolparty mit Glitzer-Drinks und Baywatch-Bodys und zwei ansehnlichen Badespaß-Solistinnen. Da funkt er bitterböse dazwischen: kein Platz für die Spaß-Society von heute! Dagegen ist viel Platz für die Bilderflut von heute, mit der Thomas Lippick Bach in die zweite Reihe verweist: theatralischer Katastrophen-Tourismus, die Götter kommen aus Pop und Rock, Fußball und Olympia von heute. Da ist keine Rede mehr von der „einen heiligen Kirche“, die Frage heißt in großen Lettern: „Gott ist wo?“ Das fragt man sich auch bei der singenden Doppel-Merkel, eine der Göttinnen von heute, die im Olymp die Grundrechte vorführt. Jochen Biganzoli gehen die treffsicheren Ideen nicht aus, um Bachs Glaubensgewissheit infrage zu stellen: Auch ein Moslem darf beten (aber ohne Bach) und wird vom christlich-lateinischen Credo-Chor gesteinigt. In den individuellen Lebens- und Leidenssituationen führt der Regisseur einen Selbstmordversuch, die demente Mutter, ein gequält zum Selfie antretendes Elternpaar, das den Geburtstag eines toten Kindes feiert, vor und lässt alles besingen. Bei der Erweiterung in weltweite gesellschaftliche Fragen werden auch die Bilder großräumiger, eindrucksstärker  – nicht unbedingt jedoch das Tourismusvideo eines penetrant als weltoffen verkauften Regensburg zu Bachs Auferstehungsjubel. Bevor alles in einer Flut von Beispielen versinkt, konzentriert sich die Anti-Bach-Bebilderung auf die Düsternis einer zerbombten Welt: keine Frohbotschaft zu Weihnachten, zum „Sanctus“ gehen die Lichter aus und der Chor behilft sich mit Taschenlampen. Einsam verhallt das „Benedictus“ angesichts einer blutbeschmierten Christusfigur. Aber die Auferstehung, die gesteht diese eindrucksvolle Aufführung denn doch allen zu: Bach lässt da keine andere Wahl. Langer Applaus eines offenbar von dieser Sicht auf Bach überzeugten Publikums, auch für den muslimischen Beter und den Christus in Flip Flops. (Uwe Mitsching)

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