Kultur

Schlicht Streit ist dieses Blatt aus Franz Marcs Skizzenbuch aus dem Felde betitelt. (Foto: Stiftung Etta und Otto Stangl)

28.11.2014

Trennende Flut

Eine Ausstellung in Kochel zeigt, was von Franz Marcs Utopien übrig blieb

Wir wussten nicht, dass so rasend schnell der große Krieg kommen würde, der über alle Worte selbst das Morsche zerbricht, das Faulende ausstößt und das Kommende zur Gegenwart macht“, so der Maler Franz Marc über „das geheime Europa“, das er für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erwartete. Jetzt zeigt sein Museum in Kochel, was aus dieser Erwartung geworden ist: Jenseits der Utopien heißt Teil III der Marc-Trilogie.
Das „Fegefeuer des Krieges“, die Erfahrungen von fast einem Jahr an der Westfront: Das alles findet seinen Niederschlag in den Aphorismen und in den Bleistiftzeichnungen aus dem Unterstand. Die allgemeine Kriegsbegeisterung von 1914 spiegelt sich wieder in solchen Überschriften wie „Entwurf zu einer neuen Welt“, „Fundamentale geistige Erneuerung Europas“.
Die Ausstellung beginnt mit den Skizzenbüchern aus dem Felde (1915). Bleistift auf Papier, Pferde, Rehe als gewohnte Motive: „Heute sah ich die feine Sichel des neuen Mondes und dachte lebhaft an Dich und Ried und die Rehe“ (an seine Frau). Man sieht Marc auch weitergetrieben auf dem Weg zum Abstrakten, einbezogen (wie noch im August 1914) in die künstlerische Entwicklung der europäischen Avantgarde. Aber die persönlichen Verbindungen waren gekappt; an Wassily Kandinsky im Oktober 1914: „Ich habe das traurige Gefühl, dass dieser Krieg wie eine große Flut zwischen uns beiden strömt, die uns trennt.“
So ist es denn verlockend, in dieser Ausstellung nachzuprüfen, was denn am Ende dieser utopischen Hoffnungen stand: bei Marc 1916 der Tod im Felde – bis dahin hat er immer wieder zeichnerisch formuliert, was die „Neuschöpfung aus dem Chaos“ bedeuten könnte. Als Ausgangspunkt zeigt Kochel noch einmal das Springende Pferd von 1912, zeigt Robert Delauneys abstrakte Konsequenz in der Kleinen Komposition von 1914. Dann aber die Nachkriegspositionen eines Walter Dexel (Komposition auf grauem Grund), des Konstruktivismus’ mit Laszlo Moholy-Nagy. Sie macht zeitlich weite Sprünge bis in die Dreißigerjahre hinein, wo Oskar Schlemmer den Gedanken einer „geistigen Erneuerung Europas“ in Kleines Gegeneinander (1930) weiterführt: Konzentration auf den „idealen Menschen“.

Lohnende Spekulationen

Aus der eigenen Sammlung kann das Museum Werke von Fernand Léger, Willi Baumeister beisteuern, ebenso die abstrahierten Köpfe Jawlenskys. Dazwischen gibt es als Bezugspunkte und Marksteine berühmte Marc-Bilder. Paul Klees Tropischer Garten fordert geradezu zum direkten Vergleich mit den Marc-Skizzenbüchern aus dem Kriege heraus.
Wohin sich Marc entwickelt hätte, so darf man spekulieren, das scheinen am ehesten die Arbeiten von El Lizzitzky zu sein, diese elektromechanischen Figurinen in einer buchstabenhaften Geometrie. Auch ein Punkt der Spekulation: Wie hätte Marc die soziopolitischen Probleme der Nachkriegszeit verarbeitet? Hätte er sich ihnen entziehen können? Die Antworten von George Grosz oder Max Beckmann sind unter „Nach dem Krieg“ zusammengefasst – ein Aspekt, den die Ausstellung noch deutlicher diskutieren könnte. Immerhin kann Ernst Ludwig Kirchners Farbholzschnitt Selbstmörderin von 1921 dieses Thema stellvertretend anreißen. Da waren seit Marcs Utopien von 1914 sieben Jahre vergangen, und die Vorstellungen seines „einfachen Soldatenverstands“ hätten sich als falsch erwiesen: „Sobald hier der Durchbruch gelingt u. im Norden unsre Armee am Meer steht, wird die Front auf beiden Seiten aufgerollt.“ (Uwe Mitsching) Bis 11. Januar. Franz Marc Museum, Franz Marc Park, 82431 Kochel. Di. bis So. 10 - 18 Uhr. www.franz-marc-museum.de Abbildung:
Trauer in Witwentracht: Unter anderem dieses Bild von Otto Dix widerlegt Franz Marcs Utopien, die er mit dem Ersten Weltkrieg verband. (Foto: Franz Marc Museum)

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