Kultur

Die sanfte Schönheit Sabine, Ehefrau von Paul Schreber, passt nicht in das straffe System, das ihr Schwiegervater aufgebaut hat. Christina Theresa Motsch und Issaka Zoungrana als personifizierter Schlaf. (Foto: Traubenberg)

07.01.2011

Unerbittlicher Erziehungs-Dompteur

"In Schrebers Garten" – Uraufführung am Mainfranken Theater Würzburg

Der Schrebergarten mit akkurat ausgerichteten Beeten, einer penibel eingehaltenen Gartenordnung bei ständiger gegenseitiger Kontrolle: Wer kennt ihn nicht? Eigentlich aber sollte das, was der Namengeber der Kleingartenbewegung, der Orthopäde, Arzt und Pädagoge Moritz Schreber (1808 bis 1861) postulierte, nämlich naturnahe Bewegung im Grünen und Heilgymnastik, der Volksgesundheit dienen.
Doch wohin solch nützliche Ideen führen können, wenn sie ideologisch verabsolutiert werden, wenn sie verknüpft sind mit der Unterdrückung der „Triebe“ und die Freiheit einschnürenden Maßnahmen zur „korrekten“ Haltung des Körpers, wenn sie zu Drill, Verlust an Kreativität und des Selbstwertgefühls pervertieren, zeigt eindrucksvoll Klaas Huizing an Paul Schreber in seinem Roman In Schrebers Garten (2008).
Diese Geschichte wurde nun als Theaterstück im Mainfranken Theater Würzburg uraufgeführt – mit großem Erfolg, was vor allem der hervorragenden Inszenierung von Bernhard Stengele zu verdanken ist. Er verengt die Ursachen für die angebliche Paranoia des Sohnes Paul Schreber nicht allein auf die Figur des übermächtigen Vaters.
Als Vertreter der „Schwarzen Pädagogik“ war Moritz Schreber allerdings sehr wohl verantwortlich für das Unglück seiner Kinder, von denen drei geisteskrank waren. Sohn Gustav brachte sich später um. Paul, erfolgreicher Jurist und Senatspräsident, wurde Ende des 19. Jahrhunderts in eine Irrenanstalt eingewiesen, kämpfte aber gegen seine Entmündigung. Er litt auch daran, dass seine Frau keine Kinder gebären konnte. Nachdem er 1903 die Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken veröffentlicht hatte, entwickelte Sigmund Freud daraus die These, dass der männlichen Paranoia ein homosexueller Konflikt zugrunde liege. Elias Canetti entdeckte später in dem Paranoiker Paul Schreber „das genaue Abbild des Machthabers“, der sich selbst als Gott sehe, als einzigen Menschen, auf den es ankomme.

Unwirklich sauber

Stengele zeigt beispielhaft Stationen aus dem tragischen Leben Paul Schrebers; sie muten oft fast grotesk an. Bühne und Ausstattung von Gesine Pitzer lassen das Ganze wie eine Versuchsanordnung erscheinen: Den Raum beherrschen zwei hohe weiße Klettergerüste, auf einem die Pianistin Sidonie (Katia Bouscarrut), auf dem anderen die Cellistin Anne Sophie (Milena Ivanova) samt ihren Instrumenten, die kahlen Köpfe gefoltert durch orthopädische Schreber-Kinnbänder; seismographisch begleitet ihre Musik das Geschehen. Von der Decke hängen weiße, amorphe Gebilde: Nervenenden. Der grüne Boden ist eingeteilt in Vierecke mit Nummern, und die Personen haben sich dazwischen und darin abgezirkelt zu bewegen.
Alle Schrebers sind unwirklich sauber, weiß gekleidet, auch mit transparenten Stoffen. Nur die Gegenfigur zum allgegenwärtigen Vater, der Schlaf (Issaka Zoungrana) kommt dunkel daher. Im grauen Alltagsanzug tritt mitleidlos-kühl Medizinalrat Weber (Rainer Appel) auf. Weiße Möbel-Gestelle ergänzen das unwohnliche Umfeld. Dass Vater Moritz (Georg Zeies: würdig und streng) sowie seine Frau (mütterlich, aber stets dem Gatten hörig: Maria Brendel), unnahbare Kälte ausstrahlen, hat mit ihrer Einstellung zum Leben zu tun: Korrekt, gesund, sittsam, gottgefällig wird da „in die weite Welt“ hinausgezogen, die sich aber als Enge erweist. Die Familie orientiert sich völlig am Vater, turnt rhythmisch nach seinen Befehlen.
Auch nach dem Tod dieses Erziehungs-Dompteurs, der sogar die Sprache seziert, ist er, aufgebahrt in Blumenkohl-Reihen, immer noch im Hintergrund gegenwärtig. Paul kann sich nie von ihm lösen, auch nicht nach der Heirat mit Sabine (Christina Theresa Motsch), einer sanften blonden Schönheit, die nicht in das straffe System Schreber passt. Auch Gustav (Klaus Müller-Beck) zerbricht am Vater und dessen unerbittlichen Prinzipien. Dass Paul mit seinem Vater in einer Art Hassliebe verbunden ist, dass durch ihn sein männliches Selbstgefühl zerstört wird, macht Christian Taubenheim überzeugend deutlich. Erschütternd peinlich ist sein Plädoyer für die neue Ordnung in der Familie ebenso wie seine politische Brandrede für einen konservativen Staat. Schließlich wendet er sich vom Männlichkeitsideal ab, sieht die Zukunft in den Händen der Frauen. Durch die Medikamente von Dr. Weber halluziniert er, redet mit der Sonne, hält sich für einen Auserwählten, einen Heiligen, dem ein halbnacktes Mischwesen (Anna Sjöström) eine Perle gebiert. Er nennt sich nun Paula, streift das Kleid seiner Frau über, wähnt sich im Paradies, in dem Gott der Gärtner ist, und erwartet einen neuen Anfang der Welt.
Ein tragischer Traum. Und ganz aktuell ein Stück zum Nachdenken über Erziehungs-Ideale. Langer Beifall. (Renate Freyeisen)

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