Kultur

Schreien, kämpfen, leiden: Es geht zu wie in einer griechischen Tragödie (Timocin Ziegler, Pascal Fligg, Leon Pfannenmüller) (Foto: Gabriela Neeb)

24.06.2016

Ungebrochenes Pathos

"Tage der Dunkelheit" am Münchner Volkstheater

Schon beim Einlass wallen einem Nebelschwaden entgegen. Und dann geht’s hinein in die düstere Mythen-Küche. Denn als solche fungiert diesmal die Kleine Bühne des Münchner Volkstheaters, wo Sankar Venkateswaran Tage der Dunkelheit inszeniert hat, eine hochkonzentrierte Essenz aus der Mahabharata. In diesem indisch-hinduistischen Epos geht es um den Kampf zweier verwandter Königsgeschlechter, der in einer gigantischen Schlacht, bei der auch Götter mitmischen, unzählige Tote hinterlässt. Hinter all dem steht die große Frage: „Verrat oder Gerechtigkeit?“

Sympathischer Verrückter

Bei einem seiner Indien-Urlaube hat Volkstheater-Intendant Christian Stückl den 1979 geborenen Regisseur kennengelernt, der nicht nur Leiter des Internationalen Theaterfestivals von Karala ist, sondern auch fast schon Fitzcarraldo-mäßig das Projekt verfolgt, ein Theater mitten in den indischen Dschungel zu bauen. Nicht nur, weil man sich von so einem sympathischen Verrückten eine sympathisch verrückte Inszenierung erhoffte, war Venkateswarans beeindruckende erste Regiearbeit hierzulande fast etwas enttäuschend. Zumindest für die Exotik-Hoffnungen westlicher Zuschauer. Denn abgesehen von den fremdartigen Namen der Figuren, hatte der Abend quasi nichts „Indisches“ oder Unvertrautes. Das fängt schon mit der gelungenen Ausstattung von Ran Chai Bar-zvi an, die irgendwo zwischen Wieland Wagners Neu-Bayreuth und Jürgen Rose angesiedelt ist: Der Bühneboden stellt eine Art schräge Erdplatte dar, die durch einen tiefen Riss in zwei Hälften auseinanderklafft und so das Prinzip von Dualität und Konflikt symbolisiert. Dementsprechend archaisierend-überzeitlich wirkt auch das Outfit der Akteure, die erdverschmiert in zerrissenen, blutgetränkten Einheits-Kampfanzügen stecken.
Wenn diese Helden dann bei rotem oder blauem Licht im Chor die alten Mythen-Verse sprechen, wenn sie schreien, kämpfen, leiden, fühlt man sich regelrecht wie in der griechischen Tragödie – und noch dazu wie in einer Inszenierung vom Altmeister Dieter Dorn.
Wobei sich ein Aspekt der Aufführung vielleicht doch unter der Rubrik Exotik verbuchen lässt: das offene, ungebrochene Pathos, der tiefe Ernst der Darstellung. Dergleichen war früher auch bei uns Usus, findet sich heute aber kaum mehr im Theater. Und dann ist da noch das Zeitmanagement, das fast schon an Magie grenzt: In knapp 60 Minuten bringt der Regisseur tatsächlich eine Elementar-Verdichtung dieses Mega-Epos auf die Bühne – und lässt sich dabei am Anfang auch noch unglaublich viel Zeit. Denn da steht Magdalena Wiedenhofer als Stamm-Mutter Ghandari im weißen Kleid, mit schwarzer Augenbinde am Bühnenrand. Eine Ewigkeit lang wird kein Wort gesprochen. Und sie bewegt sich doch! Aber so extrem langsam, dass man es kaum merkt, und wenn sie nach zehn Minuten in der Bühnemitte angekommen ist, hat man das Gefühl die Schauspielerin sei geschwebt. Erstaunlich, dass Yoga für Fortgeschrittene im Theater so spannend sein kann. (Alexander Altmann)

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