Kultur

Zuhause bei Wagner, den Michael Volle (dritter von links) als grandioser Sänger-Darsteller spielt. (Foto: Bayreuther Festspiele)

28.07.2017

Unterhaltsame Show

In der Bayreuther „Meistersinger“-Premiere konfrontiert Barrie Kosky die Familie Wagner schonungslos und zugleich humorvoll mit ihrer Geschichte

Am Ende steht er ganz allein auf der Bühne. Von hinten rollt plötzlich ein Podest heran, mit dem Chor und einem Statisten-Orchester. Prompt hebt er die Arme und dirigiert. Es ist Hans Sachs, hier ein Alter Ego von Richard Wagner: Der Maestro dirigiert sich selbst. Und er tut es in einem Nachbau des Gerichtssaals, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg die Nürnberger Prozesse durchgeführt wurden. Es ist ein starkes Bild, mit dem Barrie Kosky seine Neuinszenierung der Meistersinger von Nürnberg bei den Bayreuther Festspielen enden lässt. Wie Michael Volle diesen Hans Sachs verlebendigt, das ist ganz groß. Einmal mehr präsentiert sich der Bariton als überragender Sänger-Darsteller. Davon profitierte auch Koskys Inszenierung erheblich. Die Verpflichtung Koskys markiert ein besonderes Debüt in Bayreuth, denn: Erstmals inszenierte ein jüdischer Regisseur auf dem Grünen Hügel. Eine Sicht ist herausgekommen, die umso persönlicher wirkt. Jedenfalls konzentriert sich Kosky ganz auf die zentralen Schlaglichter der Wagner- und Meistersinger-Rezeption.

Aus der Villa ins Gericht

So stattet Rebecca Ringst die Bühne im ersten Akt als Wagner-Villa Wahnfried in Bayreuth aus. In diesem Ambiente agieren der Schuster Hans Sachs als reifer Wagner und der Ritter Walther von Stolzing (in der Höhe gepresst: Klaus Florian Vogt) als junger Wagner. Aus dem Goldschmied Veit Pogner (sonor und präsent: Günther Groissböck) wird der Komponist Franz Liszt: Dessen Tochter Cosima wurde die Ehefrau von Wagner. Es ist nur konsequent, dass in dieser Lesart aus Eva (Anne Schwanewilms), der Tochter Pogners, Cosima Wagner wird. Dabei kann sich Kosky auf Wagner berufen, der sich gern als Hans Sachs und Cosima als Eva bezeichnete. Gegen Ende des ersten Akts wird aus der Villa Wahnfried der Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse. Die Botschaft ist klar: Was in Wahnfried ausgeheckt wurde, hat späterem Unheil der Nazis den geistigen Boden bereitet. Diese These ist nicht neu, aber: Noch nie hat man sie so unmissverständlich auf der Bühne gesehen. Mit diesem krassen Szenenwechsel am Ende des ersten Aufzugs konfrontiert Kosky in Bayreuth die Wagner-Familie mit ihrem Erbe: schonungslos und doch mit viel Humor. Der Humor endet, wenn das Unheil beginnt. Es schwärt in Gestalt des strengen Stadtschreibers Sixtus Beckmesser (großartig: Johannes Martin Kränzle). Aus ihm macht Kosky einen Juden, der zusehends gedemütigt und bedroht wird. Wenn Beckmesser im zweiten Akt verprügelt wird, lässt ihn Ausstatter Klaus Bruns eine Maske tragen: in Gestalt einer bekannten Juden-Karikatur aus der Nazi-Zeit. Ein riesiger Ballon überhöht diese grauenvolle Juden-Karikatur: Das ist höchst beklemmend und entsetzlich. Für Wagner repräsentierte Beckmesser tatsächlich alles, was ihm verhasst war. Doch Kosky geht noch weiter: Sein Beckmesser ist der jüdische Dirigent Hermann Levi, der in Bayreuth die Uraufführung des Parsifal dirigiert hatte. Im Programmbuch betont Kosky, dass Levi von Wagner massiv gedemütigt worden sei. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn: In einem Brief an seinen Vater verteidigt Levi im April 1882 den verehrten Meister. Wagner habe jüdische Musiker geschätzt und sich von seinem Pamphlet Das Judentum in der Musik distanziert. Tatsächlich war vor allem Cosima eine geistige Brandstifterin. Nach Wagners Tod wollte sie Bayreuth von der „Jüdelei“ befreien. Damit meinte sie auch ganz konkret die rascheren Tempi, die jüdische Musiker wie Levi in Bayreuth kultiviert hatten. Während Wagner diese Entschlackung sehr schätzte, wollte Cosima später breitere, getragene Tempi zelebrieren. In einem Buch über Houston Stewart Chamberlain hat Udo Bermbach jüngst skizziert, wie sehr die Welt- und Musikanschauung Cosimas vor allem von diesem einflussreichen Publizisten aus England beeinflusst war. Diesen Kontext klammert Kosky in seiner visualisierten Rezeptionsshow aus. Noch dazu herrscht wiederholt szenischer Stillstand, was die musikalische Leitung auffangen müsste.

Diffuses Dirigat

Leider bleibt das Dirigat von Philippe Jordan über weite Strecken diffus. Zwar legt der Schweizer im letzten Akt filigrane Lyrismen frei, sonst aber gelingen ihm nur selten Differenzierungen in Dynamik und Ausdruck. Man munkelt, dass Jordan zu den möglichen Nachfolgern von Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper zählt: keine gute Wahl. Der große Sieger an der Premiere war Michael Volle: Bei ihm wollte der Beifall nicht enden, und das absolut verdient. (Marco Frei)

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