Kultur

Roderick (Harrie van der Plas) changiert zwischen Herr und Sklave des eigenen Zerfalls. Im Hintergrund Gregor Dalal als William. (Foto: Posch)

01.04.2011

Untote auf Bühnenurlaub

"Der Untergang des Hauses Usher" von Philip Glass im Münchner Gärtnerplatztheater

Der literarische Existenzialismus stellte vor etwa 60 Jahren fest: „Wir sind alle Tote auf Urlaub“. Doch schon 1839 hat Edgar Allan Poe in seiner Erzählung Der Untergang des Hauses Usher genau diesen Satz in einer von Wahnsinn durchwaberten Nachtschwärze gestaltet: Der eher naive William wird vom Jugendfreund Roderick Usher auf dessen Schloss eingeladen. Er findet ein verfallendes, in jeder Hinsicht „sterbendes“ Gebäude vor. Darin geistert Roderick angstbesessen, wahngetrieben und hypersensibilisiert umher.
Ins schier Unerträgliche gesteigert wird alles durch Madeline, die halbtote Schwester Rodericks: sie gebiert kleine Monster; ihr Klagegesang durchzieht die Nacht; sie stirbt, ersteht aber nach längerer Zeit aus dem Sarg wieder auf. William ist auch entsetzt, weil Roderick und Madeline inzestuös miteinander verstrickt scheinen. Dazu durchzieht ein Hauch von Vampirismus die Luft. Aller Horror einer „Gothic Novel“ ist versammelt.

Krankhafte Fixiertheit

Schon Claude Debussy fühlte sich von der symbolistischen Schwärze angezogen, später dann Filmemacher – und 1988 vertonte Philip Glass den Stoff mit den Mitteln der „Minimal Music“. Dirigent Lukas Beikircher führte die mit vielfachen Wiederholungen von Melodie- und Rhythmusblöcken gestaltete Musik als Klanggestalten des krankhaften Fixiertseins von Roderick und Madeline vor. Die wiederkehrenden Klangblöcke, aus denen auch mal elektrische Gitarre, Saxophon, Horn oder Fagott einsam aufstiegen, wirkten mitunter auch wie fließendes schwarzes Quecksilber – dies vor allem auch in Zusammenklang mit der Bühne von Rafail Ajdarpasic und den phantastischen Kostümen von Ariane Unfried.
Im zunächst total abgedunkelten Zuschauerraum fuhr der dunkle Eiserne Vorhang hoch. Auf der nachtschwarzen Bühne kreiste ein wie von einem Leichentuch bedecktes Monstrum. Zum aus dem Off verlesenen Einladungsbrief kam William in ockerfarbener Wanderkleidung daher – und das hochfahrende Tuch gab eine gespenstische Behausung frei: Die Spannbögen eines gotischen Gewölbes wirkten auch wie das Skelett eines Dinosauriers inmitten eines steinigen Flussbetts; Diener in schwarzen Phantasiekostümen schienen Wesen zwischen Geist und Tier; Roderick changierte zwischen Herr und Sklave des eigenen Zerfalls; William mutierte vom Helfer zum Beinahe-Opfer.
Durch alle Handlungsfetzen tönte Madelines Sopran unwirklich schön. Doch wenn sie als weiße Prinzessin auftrat, umtanzten sie meist sechs nachtschwarze Diener – wie Boten kommender Nacht, mal mit naturwesenartigem Gestrüpp-Kopfschmuck, mal wie Bußpilger aus Goyas schwarzen Bildern, die sie am Ende im Rundtanz wie eine Mumie in ihre großen Halstücher einwickelten und in den Sarg legten.
All dies haben Tadashi Endo und Fiona Copley mit der Körpersprache des Buto-Tanzes gestaltet, was den Eindruck von „einer anderen Welt“ verstärkte. Dennoch gab es ganz diesseitigen, ungetrübten Beifall und Jubel, denn das ganze Bühnenteam hatte dieses abgründige Konzept von Regisseur Carlos Wagner hochexpressiv umgesetzt.
Bravorufe auch für den strahlenden, zwar „halbhysterisch“, aber nie schrill klingenden Sopran von Ella Tyran, den perfekt zerquälten Roderick-Tenor von Harrie van der Plas und den herrlich robust gesund tönenden William-Bariton von Gregor Dalal.
Wieder einmal können sich süddeutsche Opernfreunde freuen: Anders als in Berlin bietet Münchens zweites Opernhaus eine beeindruckende Alternative zum Spielplan der großen Staatsoper – theatralisch sehr gut gemacht, musikalisch auf „Staatsniveau“ und künstlerisch horizonterweiternd. (Wolf Dieter-Peter)

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