Kultur

Das Jerusalem Quartet unter Sir András Schiff begeistert in Neumarkter Reitstadel mit Mieczyslaw Weinberg. (Foto: Fritz Etzold)

05.12.2016

Verdichtetes Klangbild

Sir András Schiff und das Jerusalem Quartet begeistern in Neumarkt mit Mieczyslaw Weinberg

Sohn des Musikchefs vom Jüdischen Theater Warschau, die Eltern  von den Nazis ermordet, ihr Sohn Mieczyslaw auf der Flucht nach Moskau, Internierung nach Usbekistan - 1996 ist Weinberg in Moskau gestorben. Von Dmitri Schostakowitsch wurde er zeitlebens betreut. Leben und Werk dieses Komponisten erscheint einem wie der Spiegel dieses 20. Jahrhunderts -, besonders seiner vielen dunklen Seiten. Die Bregenzer Festspiele haben seine Oper „Die Passagierin“ wieder aufgeführt, das Jerusalem Quartet und Sir András Schiff haben dieses Jahr sein Klavierquintett op. 18 gespielt: bei den Salzburger Festspielen,  jetzt bei den Neumarkter Konzertfreunden. Das war dann neben Schubert und Brahms in ästhetisch vollendeter Wiedergabe eine Dreiviertelstunde voll von ausdrucksstarker Musik - wie ein expressionistisches Bild von Beckmann oder Dix. Sofort ist man gefesselt von der Wehmut des Cello-Themas, von den Klaviertropfen (oder -tränen?), die in diese Melancholie hineinfallen. Weinberg war ein Meister der Instrumentierung. Das hell und ausdrucksstark timbrierte Jerusalem Quartet und Sir András Schiff wollten sich nichts von diesen hinreißenden Effekten entgehen lassen, von diesem sich immer mehr verdichtenden Klangbild.  Weinbergs Biografie verdichtet sich in dem Entstehungsjahr des Quintetts 1943 – das ist hier zu hören: harsche Marschrhythmen, dunkel-wehmütige Farben. Die können erschütternd, packend sein, aber auch unterhaltsam. Oder sie erstarren zu einer verzerrten Karikatur. Schostakowitschs Musik der Dreißigerjahre ist dafür ein Vorbild, verläuft eher parallel, und immer wieder ist man erstaunt über Weinbergs Eigenständigkeit. Präziser konnte die Wiedergabe im Neumarkter Reitstadel kaum sein als durch die fünf Musiker: in den plötzlich in Gegensätzen explodierenden Phrasen, in  Bruchstücken verzerrter Tanzmusik. Da war das Publikum nahe am Zwischenapplaus, und man wünschte sich, auch mehr von Weinbergs Opern auf der Bühne zu erleben. Sehr vieles, was diesen Weinberg umtrieb, hörte man in dieser Musik – das Largo, das fast ganz dem Klavier gehört, kommt András Schiffs musikalischem Denken in Bildern sehr nahe, das Cello tritt mit großer Trauerattitüde hinzu: Kyril Zlotnikov ist im Klanggleichgewicht des Jerusalem Quartetts ein ganz unentbehrlicher Faktor. Ermattende Ergriffenheit zum Schluss des Klavierquintetts, das tänzerische Finale endet in einem dünnen, leisen Hoffnungsstrahl. Begeisterung im Publikum auch für die lapidare Vollständigkeit von Schubert einzelnem Quartettsatz D 703, der in knapp zehn Minuten alles Wichtige sagt. Oder für ein Brahms-Klavierquintett op. 34 , das man in glänzender, kammermusikalischer Vollkommenheit vorführen wollte - und darüber vergaß, dass die Leidenschaft, die das Presto so hinreißend durchpulst, auch die anderen Sätze in einen unwiderstehlichen Strudel reißen könnte. Aber das wollten Schiff/Jerusalem offenbar nicht, sondern feine Differenzierung und  Werktreue. Bezeichnend aber, dass sie dann doch ausgerechnet das Presto als Zugabe noch einmal spielten. (Uwe Mitsching)

Information:
Sir András Schiff kann man solo am 8. Januar 2017 wieder in Neumarkt erleben: in einer Matinee mit Werken von Bach, Bartok, Janacek, Schumann – ein Programm der dreiteiligen Serie, die es dann bei den Salzburger Festspielen 2017 geben wird.

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