Kultur

Juliane Köhler gibt die Schlampe Helena, die Menelaos am liebsten umbringen würde. (Foto: Pohlmann)

24.03.2017

Verrückte Götter

Sartres "Troerinnen" am Münchner Residenztheater überzeugt immer dann, wenn die Groteske durchbricht

Von wegen „deus ex machina“! Diesmal kommt der Gott aus der Pfütze: Erst taucht Poseidon prustend im Wasserloch auf, dass ihm die Nässe nur so aus dem Zauselbart trieft, dann fuchtelt er mit einem Dreizack herum – großes Gelächter im Publikum. Dem Meeresgott folgt – plitsch platsch – Göttin Athene, deren ebenfalls klatschnasses Gewand so eng am Körper klebt, dass sie jeden Wet-T-Shirt-Contest gewinnen würde. Die Götter müssen verrückt sein. Warum sonst sollten sie sich in dem schwer demolierten Klassenzimmer rumtreiben, das Ausstatter Stefan Hageneier auf die Bühne des Münchner Residenztheater gebaut hat? Da stehen ein paar Schulbänke, die Deckenkonstruktion hängt runter, und hinter den aufgerissenen Wandverkleidungen quillt die Dämmwolle hervor – wahrscheinlich asbestverseucht. Den Kultusminister trifft aber keine Schuld. Denn weder um marode Schulgebäude, noch ums G8 geht es in Tina Laniks Inszenierung der Troerinnen von Jean Paul Sartre (nach Euripides). Dennoch treten die Frauen aus Troja, dargestellt vom Münchner Mädchenchor, erst in Schul-Uniformen auf und später in rosa Funkelkleidchen wie Revuegirls. Aber solche wunderbar bizarren Outfits unterstreichen, gerade indem sie ihn konterkarieren, den ganzen Horror dieser Geschichte, die davon handelt, dass die Griechen nach der Eroberung Trojas die Frauen der Besiegten unter sich als Sklavinnen aufteilen und den trojanischen Thronfolger, ein Kind, sicherheitshalber ermorden.

Faszinierender Ausbruch

Das Erstaunliche an diesem Abend: Er ist immer dort großartig, wo er dem Pathos des Textes zuwider läuft, also wo er ins Groteske, Irre oder Komische ausbricht. Die werktreue Erhabenheit des Leidens, das Vibrato der Tragik indes kauft man ihm nicht ab. Auch wenn der Stoff noch so erschütternd ist: Er erschüttert uns nicht, wo er als anachronistisches Mitfühl-Theater dargeboten wird. Denn man spürt, dass dem unsagbaren Elend des Krieges, um das es hier geht, kein noch so gekonnter Nachahmungs-Realismus gerecht wird. Faszinierend wirkt hingegen der Wahnsinns-Ausbruch der Seherin Kassandra (ungeheuer eindringlich: Meike Droste), die schließlich gar pudelnackert an der Rampe steht. Und die beste Szene des Abends ist dann so saukomisch, dass man sich wundert, warum niemand im Premierenpublikum zu lachen wagte: Griechenkönig Menelaos (Thomas Huber im weißen Anzug) wettert, dass er seine untreue Gattin Helena, die den ganzen Krieg ausgelöst habe, umbringen wird. Als die Schlampe dann aber auftritt, umwerfend charismatisch hingeschmachtet von Juliane Köhler, da wickelt dieser schnuckelige Vamp im hautengen, halbtransparenten Abendkleid den eitlen Gockel Menelaos, der auch noch einen Kopf kleiner ist als sie, sofort wieder spielend um den Finger, dass er nur noch dahinschmelzen kann. Ein Bild für Götter sozusagen. (Alexander Altmann)

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