Kultur

Trommeln fürs Selbstbewusstsein: Die Stadtmuseen beanspruchen die Deutungshoheit über ihre Sammlungsobjekte. Im Münchner Stadtmuseum können Besucher derzeit selbst trommeln: die Ausstellung "Soundlab.1" macht Instrumente hörbar. (Foto: Stadtmuseum Münchnen)

23.11.2012

Weder Tempel noch Labor

In Nürnberg diskutieren Experten über das Stadtmuseum von Morgen

Seit 2007 leben auf der Erde mehr Menschen in Städten als auf dem Land – mit steigender Tendenz: Die globalen Migrationsbewegungen drängen nicht nur in die Mega-Städte auf allen Kontinenten, sondern auch in die mittleren und kleineren Städte. Aber wie werden die Fremden in der Stadt heimisch? Werden ihnen diese anonymen „Städte ohne Eigenschaften“ auch zur Heimat, mit der sie sich identifizieren können? Und womit identifizieren sich die Menschen in einer Stadt: mit dem Einkaufszentrum, dem Fußballverein – dem Oktoberfest? Oder vielleicht doch mit dem Museum der Stadt, dem Louvre in Paris etwa, der Museumsinsel in Berlin, den Pinakotheken in München oder dem Museumsquartier in Wien? Sind also womöglich die Museen für die Menschen in einer Stadt die sinnstiftenden Orte der Identifikation, der Selbstvergewisserung, der Integration und Inklusion?
Bei der Tagung „Museum.macht.Identität“ gingen jetzt in Nürnberg Museumsleiter und Museumsexperten, darunter Historiker, Architekten und Pädagogen, solchen Fragen nach. Sie fragten sich aber auch selbstkritisch, wie denn das Museum der Zukunft aussehen müsse, wenn es diesen selbst gestellten Aufgaben gewachsen sein wolle. Eingeladen zu dieser Veranstaltung hatten die Museen der Stadt Nürnberg, die dafür zwei so renommierte Institutionen wie das Berliner Institut für Museumsforschung der Stiftung Preußischer Kunstbesitz und die Münchner Landesstelle für nicht-staatliche Museen in Bayern mit ins Boot geholt hatten.

Bilderwelten aufblättern

Im Nürnberger „Museum Industriekultur“ ging es dann – inmitten der Requisiten des Industriezeitalters – vor allem um die Standortbestimmung des Stadtmuseums, dem nicht selten der Hautgout des romantisch-idyllischen kleinen Heimatmuseums anhaftet, obwohl in einer bis in die letzten Winkel globalisierten Welt längst das Internetportal das Museumsportal ersetzt hat und die Stadt und ihre Geschichte im Cyber-Space des world-wide-web virtuell geworden sind.
Aber dem setzten die „Museologen“ aus Berlin, Wien und München, aus Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Köln und Freiburg den Anspruch ihrer Museen entgegen, die „Deutungshoheit“ über die Artefakte und Materialien ihrer musealen Sammlungen qua wissenschaftlicher Kompetenz und Erfahrung im Umgang mit den Relikten der Stadtgeschichte zu haben.
Sie räumten freilich auch ein, dass man die musealen Objekte nur dann zum Sprechen bringen könne, wenn man sie in die Sprache der Bürger übersetze, also die „Grammatik des Museums“ dechiffriere. Und damit den Menschen in einer Stadt glaubhaft vermitteln könne, dass ihr Stadtmuseum als das „polyzentrische Gedächtnis der Stadt“ ihnen mit der Stadtgeschichte auch ihre eigene Geschichte in die Gegenwart hole – und diese Geschichte in exorbitanten, einleuchtenden „musealen Narrativen“ erzähle, diese nie gesehenen, nie geahnten „Bilderwelten“ aufblättere und lebendig mache.
Das Museum als Bühne also, wo die Geschichte und die Herkunft der Stadt zur Schau gestellt und allen Stadtbürgern vorgestellt wird: den Alten wie den Jungen, die wegen des demografischen Wandels hin zur Altersgesellschaft nur allzu leicht ins Hintertreffen geraten; den Einheimischen wie den Fremden, die über das Museum vielleicht leichter zu Stadt-Bürgern werden, weil sie über ihr neues Wissen über die Geschichte der Stadt etwas gemeinsam mit allen Bürgern der Stadt haben.
Das „Museum von morgen“ ist also weder „Tempel noch Labor“, kein „Luxusmuseum mit Event-Charakter“, aber auch kein „Streichel-Zoo mit historischer Kuschelecke“, sondern ein „Gebrauchsmuseum“, ein „Kultur-Zentrum“ als urbaner Treffpunkt der Stadtgesellschaft, ein „Frei-Zeit-Museum“ im besten Sinne des Wortes, das sich „jeden Tag neu erfinden und seine Objekte neu befragen“ und plausibel präsentieren muss.

In ständigem Wandel

Mit solchen, durchaus kontrovers debattierten Visionen eines „Museums für morgen“ überzeugte diese museologische Fachtagung mehr, als wenn sich die versammelten Experten nur in einem einig gewesen wären, der Frage nämlich nach der Finanzierung durch klamme kommunale Kassen. Statt die um sich greifende „Ökonomisierung der Museen“ zu beklagen, setzten sie auf ein viel wirksameres „Museum als Prozess“, das in ständigem Wandel zu neuen Ufern einer künftigen Stadtgesellschaft aufbricht, die – in des Wortes doppelter Bedeutung – ihr urbanes Alltagsleben aufhebt, um es als Geschichte zu bewahren. (Friedrich J. Bröder)

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