Kultur

Chorsänger in Kutten und Projektionen in schummriger Atmosphäre: Szenenbild (Ausschnitt, größere Ansicht im Artikel) aus Sven Helbigs "I eat the sun and drink the rain" in der Nürnberger Kirche St. Lorenz. (Foto: ION)

10.07.2017

Wellness mit romantischem Geschwurbel

Sven Helbigs Werk für Chor und Live Electronics bei der Nürnberger Orgelwoche

Was einem bei diesem eigenartig durch Doppelpunkte unterbrochenen „re:format:ion“-Motto der Internationalen Orgelwoche Nürnberg klar sein muss: Es geht beiläufig auch mal um Luther - hauptsächlich aber um die Reformation/Reformierung der Formate: von Kammermusik, Kirchenkonzerten, Symphonik. Sicher, da wird jeden Mittag auch prominent Orgel gespielt und letzten Freitag sogar bis in die Nacht hinein. Aber Festivalleiter Folkert Uhde hat den Nürnbergern eine Suche nach „Grenzüberwindung“ verordnet. Und die schlucken selbst die vermeintlich bittersten Pillen, klatschen begeistert über eine „befreite“, improvisierte Schubert-Symphonie und fragen sich, was da als „Zyklus für Chor a capella und Live-Elektronik“ spätabends nach St. Lorenz lockt und „I eat the sun and drink the rain“, auch ein Berlin-Import, heißen soll. Das Programm verspricht einen „kraftvollen Sog“, die projizierten Videos heißen „Visuals“, und der Komponist Sven Helbig hat selbst die Texte gedichtet: mit fast 50 jetzt sein erstes abendfüllendes Chorprojekt, das mit düsteren Wellen aufs Publikum zurauscht (Bildmaterial mit Antik-Flimmern von Mani M. Sigfusson): eine Einstimmung, von dumpfem Dröhnen begleitet. Immer düsterer werden die 70 Minuten mit dem „Vocalconsort Berlin“ in seinen schwarzen Kutten und mit eigenartigen Kopfbedeckungen, die nach pietistischer Sekte aussehen, und mit  schwebenden Stimmen wie von Arvo Pärt. „Abendglühen“ heißt der erste Chorsatz, dann kommt der „Maibaum“. Das alles in esoterisch-meditativen Klängen, langgezogen und 2017 eher wie ein  Liederkranzauftritt zur spätromantischen Entspannungsstunde. „Dunkle Mächtigkeit“, „dunkle Prächtigkeit“ heißt es da und klingt auch so: von ein paar Dissonanzen abgesehen ein romantisches Geschwurbel. Die tatsächlich prächtig intonierenden Sänger schreiten mit Taschenlampen durchs Kirchendunkel, düster wabern die Bässe der Männer wie in mönchischer Askese: nichts für rationale Geister, manchmal arg naiv die Bebilderung, ein Brausen an Wolken und Stimmen. Endlich weiß man auch, dass der Titel des Zyklus‘ dem Gedicht „Como el Sol“ entlehnt ist, und lässt sich von der ruhig formenden Chorleitung durch Ralf Sochaczewsky in  diese Wellness-Klänge locken. Mit einem „Agnus Die“ und einem „Kyrie“ beweist der Zyklus seine Tauglichkeit und Wiederverwendbarkeit für den Kirchenraum. Dazu laufen Wildpferde über die Leinwand: nett. Sind es Sternschnuppen oder ist es Staub, was da immer wieder über die Leinwand flimmert? Wasser ist fast immer dabei. Das passt gut zu Helbigs strömenden Klängen, denen gelegentlich eine eingespielte percussionistische Zutat aufhilft. Aber eine „Reformation“ der Formate ist derlei schon längst nicht mehr, eher ein Großstadtexport in die vermeintliche Provinz. Zum Schlusskonzert der ION ist man dann besser wieder aufgewacht: Der fabelhafte Chorleiter Stephen Mac Leod brachte seine „Angeli Genève“ mit nach St. Sebald. „1648“ war das Thema und im Mittelpunkt stand die „Geistliche Chor-Music“ von Heinrich Schütz. Eine „harte Nuss“ soll er selbst darüber gesagt haben. Ob Folkert Uhde weiterhin harte Programm-Nüsse nach Nürnberg bringen darf, wird sich in Kürze entscheiden. (Uwe Mitsching)

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