Kultur

An einem Checkpoint vor Jerusalem spielt Golan Rises Film Barriers. (Foto: HFF)

18.11.2011

Wenn der Flamingo zweimal klingelt

Das Internationale Festival der Filmhochschulen feiert Außenseiter

Der leere Raum im ersten Stock des Münchner Filmmuseums hat sich in ein Wohnzimmer verwandelt: mit Teppich auf dem kahlen Boden, Couchtischen und Sitzmöbeln, Fotos junger Menschen an der Wand – sie sitzen bei Bier oder Kaffee entspannt auf dem Sofa. Verschiedene Sprachen sind zu hören, Gelächter. Die Hochschule für Film und Fernsehen (HFF), Gastgeberin des 31. Internationalen Festivals der Filmhochschulen (bis zum morgigen Samstag), hat viel dafür getan, dass man sich im Festivalzentrum wohlfühlen kann. Ein „Ort für Gespräche und Begegnungen“ soll das Festival sein, so der künstlerische Leiter, Andreas Gruber.
Die 50 Filme hingegen, die von Studenten aus 26 verschiedenen Ländern im Kino des Filmmuseums gezeigt werden, sprechen eine andere Sprache: In ihnen geht es oft um Außenseiter, um das Alleinsein, um verschrobene Typen, die von ihrer Umwelt nicht anerkannt werden.
Das zeigte sich bereits beim Eröffnungsabend. Flamingo Pride von Tom Eshed und Stevan M. Zivkovic von Vladimir Tagic sind zwei Filme, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Esheds kurzer Animationsfilm ist eine wilde Story über einen heterosexuellen Flamingo, der inmitten eines Schwarms schwuler Artgenossen ein paar Federn lassen muss; in Tagics schwarzer Komödie geht es um einen irrtümlich für tot erklärten serbischen Postangestellten, der mit seinem kafkaesken Schicksal nicht mehr so richtig ins Leben zurückfindet.
Beide Filme stehen beispielhaft für das große kreative Spektrum der Festivalbeiträge – und bei aller Verschiedenheit haben sie doch einen gemeinsamen Nenner: sie sind Porträts von Außenseitern – ein Thema, dem man immer wieder bei den Festivalbeiträgen begegnet.
Der koreanische Spielfilm Cuba etwa zeigt einen jungen Mann, dessen ewig gleiche Erwerbsroutine sich zwischen ihn und die Welt geschoben hat. In Natalie Spinells Film Viki Ficki, einer der beiden Beiträge der HFF München, geht es um ein elfjähriges Mädchen, das sich in der Schule gegen den Spott ihrer Mitschüler wehren muss, weil ihre Mutter von Beruf Pornodarstellerin ist.
Dass auch der Heimatort Gefühle des Außenseitertums hervorruft, verrät Les trous noirs (Drei schwarze Löcher), ein Film des Franzosen Lilian Corbeille. Er habe eine Geschichte erzählen wollen über die Orientierungslosigkeit junger Menschen, die, kaum 100 Kilometer vor Paris lebend, wie gefangen seien in ihrer provinziellen Gegend, erzählt Corbeille. Sein Film ist durchdrungen von einer düsteren, aggressiven Grundstimmung, und die allgegenwärtige Nacht wirkt, als wolle sie die Protagonisten tatsächlich wie ein schwarzes Loch verschlingen.
Auch der Dokumentarfilm nimmt die Andersartigkeit ins Visier. Elma Islamovic widmet sich in ihrer sensiblen Dokumentation That’s our child gleich einer ganzen Gruppe: jungen homo- und transsexuellen Menschen in Bosnien-Herzegowina, die oft aus islamischen Familien stammen. Die Unvereinbarkeit ihrer sexuellen Orientierung mit den Grundüberzeugungen der Gesellschaft macht Islamovic deutlich, indem sie die Aussagen ihrer Protagonisten mit denen zufällig ausgewählter Passanten auf der Straße kontrastiert. Vor allem aber geht der Film der Frage nach, wie die Eltern auf das Coming-out reagierten. Die Antworten sind erschütternd: In vielen Fällen wurde der Kontakt zu den Kindern abgebrochen, nicht selten sind diese nun entschlossen, das Land zu verlassen. That’s our child ist einer der wenigen politischen Filme dieses Festivals.

Scheu vor der Eindeutigkeit

Brisante Themen, so scheint es, werden ungern frontal angegangen. Den Grund hierfür liefert vielleicht der Israeli Golan Rise, der mit Barriers einen packenden und ebenfalls sehr politischen Film geschaffen hat. Er spricht von Bewusstsein dafür, dass es in vielen Fragen kein Richtig oder Falsch geben könne, keine eindeutigen Antworten gefunden werden könnten. Auch Barriers versucht dies nicht. Mit seinem nüchtern-dokumentarischen Blick, mit dem der Spielfilm eine extrem komplexe und verfahrene Situation an einem Checkpoint vor Jerusalem entwickelt und zu einem gleichsam offenen wie pointierten Schluss bringt, ist er dennoch ein Favorit für den Preis für den besten Festivalbeitrag.
Preiswürdig in der Kategorie Dokumentarfilm ist sicher auch If still alive von Juliana Fanjul Espinoza. Die junge Mexikanerin, die ihr Studium in Kuba absolviert und aktuell Gaststudentin der HFF „Konrad Wolf“ in Potsdam ist, hat für ihre Dokumentation über mehrere Monate hinweg in einem Altenheim in der Nähe von Havanna gefilmt. Das Resultat hat beim ersten Screening sehr kontroverse Reaktionen des Festivalpublikums ausgelöst. Der Film kommt den Bewohnern des Heims geradezu schmerzhaft nahe, beobachtet sie beim Essen, beim Duschen – beim Sterben. Er stellt große Fragen. Dabei kann es um Würde gehen, um die Verantwortlichkeit und die Grenzen des voyeuristischen Blicks, um das eigene Altern. Er ist ein eindringliches Beispiel dafür, wie das Private nie vor dem Politischen haltmacht, wie beide sich gegenseitig durchdringen. (Eva Mackensen

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