Kultur

Von wegen Dolce vita! Der Künstler ist hier gerade am arbeiten, sagt uns Mladen Stilinovic mit seiner Fotoserie "Artist at Work". (Foto: Kunstbau)

02.05.2014

Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt...

Der Besucher wird in der Ausstellung "Playtime" im Münchner Kunstbau unbewusst Teil einer Großperformance

Kunst, wusste Karl Valentin, „ist schön, macht aber viel Arbeit“. Und das gilt heute nicht mehr nur für die Künstler selbst, sondern auch für die Betrachter. Denn wo kämen wir denn da hin, wenn ein Ausstellungsbesuch einfach nur Vergnügen machte! Vorbei die Faulenzertage, da Kunst eine Evidenzerfahrung ermöglichte, die einem einfach so zuteil wurde. Nein, inzwischen wird einem nichts mehr geschenkt: In Zeiten, da – Gipfel der Perversion! – selbst Trauer längst zur Trauerarbeit mutiert ist, hat Kunstbetrachtung gefälligst anstrengend zu sein. Aber es wäre ja auch ein Wunder, wenn die Totalität des ökonomischen Prinzips nicht alle Daseinsbereiche bis in den letzten Winkel hinein mit dem Gift der puritanischen Leistungsethik kontaminierte.

Arbeitsfreies Erkennen

Dass Kunst-Anschauen Schwerstarbeit ist, weiß jeder pflichtbewusste Selbstvergewaltiger, der schon mal fünf Minuten vor einem flimmernden Bildschirm im Museum ausharrte, um ein Video zu betrachten. Oder auch, wer sich beflissen auf die Decodierung der staubtrockenen Allegorien einlässt, die in Ausstellungen manchmal rumstehen – und die nicht bloß deshalb so affirmativ wirken, weil sie (wie Allegorien seit je) einfach vorgegebene Diskurse illustrieren, statt sie zu durchbrechen; sondern auch, weil sie, wie kritisch sie vordergründig immer gemeint sein mögen, in ihrer eigenen Struktur den Arbeitszwang schon bejahen und reproduzieren, den sie in plumper Sinnbildlichkeit scheinbar anklagen.
Wie subversiv wirkt dagegen die Kunst, die es dem Betrachter durch sinnliche Erlebbarkeit „leicht macht“, aber gerade so erst den Horizont des „ganz anderen“, nämlich des zwanglosen, arbeitsfreien Erkennens öffnet, das allein ins Begrifflose vorstößt.
Diese Zusammenhänge mustergültig, wenn auch vielleicht ungewollt sichtbar zu machen, ist das große Verdienst der Ausstellung Playtime im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses. Nach offizieller Lesart sind dort Videos, Zeichnungen, Fotos, Installationen (westlicher) Künstler aus den letzten 50 Jahren versammelt, die sich mit dem Thema Arbeit befassen. Weil die meisten Werke aber dem Betrachter die Schufterei leistungsorientierter Kunstbetrachtung im erwähnten Sinne aufzwingen, ist das eigentliche Exponat der jeweilige Ausstellungsbesucher selbst, der ungewollt und unbewusst Teil einer Großperformance wird.
Da darf er zum Beispiel die Moral von der Geschicht entschlüsseln, wenn Martha Rosler in dem Video Flower Fields (1974) leuchtend bunte Schnittblumenfelder in Kalifornien zeigt, um dann näher heranzuzoomen und die Latinos sichtbar zu machen, die in glühender Hitze dort werkeln. Ein ironischer Kommentar zum Mythos des inspirierten Genies, dem es der Herr im Schlaf gibt, ist hingegen Mladen Stilinovics Fotoserie Artist at Work (1978), die den Künstler im Bett mit geschlossenen Augen zeigt – ein nicht ganz neuer Witz, schließlich ist von mehreren Schriftstellern die Anekdote überliefert, sie hätten vor dem Schlafengehen ein Schild an ihre Tür gehängt mit der Aufschrift „Der Dichter arbeitet“.
Bezeichnend scheint es jedenfalls schon, dass, wie die Ausstellung zeigt, nur ganz selten ästhetisch überzeugende Werke entstehen, wenn Künstler sich mit dem Thema Arbeit beschäftigen.
Was man daraus schließen kann? Diese Frage zu beantworten, ist uns jetzt viel zu anstrengend. Denn wie sagen schon die großen Philosophen Tick, Trick und Track: „Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt.“ (Alexander Altmann) Bis 29. Juni. Kunstbau der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Königsplatz, 80333 München. Di. 10 – 21 Uhr, Mi. bis So. 10 – 18 Uhr.
www.lenbachhaus.de

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