Kultur

Wie aufgeblasene Botero-Figuren tapsen die Schauspieler in ihren Fat-Suites über die Bühne. (Foto: Judith Buss)

14.12.2012

Würste und Wülste

Wedekinds "Franziska" an den Münchner Kammerspielen

Diesmal ist alles Wurst. Und Wulst sowieso. Würste und Wülste haben es Andreas Kriegenburg nämlich angetan, darum stattet dieser Pfundskerl die Akteure in seiner Inszenierung von Wedkinds Franziska mit „Fat-Suits“ aus. Wie aufgeblasene Botero-Figuren tapsen, trippeln und kugeln sie in einem weißen Guckkasten herum oder lassen sich in die Polster-Schlange plumpsen, die als rote Riesenwurst über die Bühne quillt.
Inmitten all der schmierigen Michelin-Männchen und -Weibchen ist nur die Titelheldin unausgepolstert schlank: Brigitte Hobmeier hockt anfangs wie ein Frosch mit gespreizten Beinen auf dem schräg hochgekippten Boden. „Ich will leben!“, flüstert, röhrt, krächzt sie und schreit nach „Wollust, Gier“ wie ein hungriges Tier. Bis sanfte Musik einsetzt. Dann kommen die Dicken.
Weil das Stück 1912 an den Kammerspielen uraufgeführt wurde, hat man diese Faust-Persiflage zum hundertjährigen Jubiläum des Hauses ausgegraben. Ein zum Versicherungsvertreter geschrumpfter Mephisto soll da die als Mann verkleidete Titelheldin durch alle Wonnen und Lüste der Welt führen, aber erstmal landen sie – „Det is Berlin!“ – in einer Hauptstadtkneipe, um dort irgendwo zwischen Auerbachs Keller und Walpurgisnacht mit Huren und Säufern herum zu kugeln, die Karikaturen aus einem Otto-Dix-Gemälde gleichen. Und an einem Fürstenhof sind sie dann in allerlei Allotria verwickelt, bei dem es um die Vorführung nackter Frauen geht.
Aus heutiger Sicht wirkt die „Unsittlichkeit“ des aus dem Leim gehenden Szenenreigens, der einst heftig mit der Zensur in Koflikt kam, nur noch unfreiwillig komisch. Und als Parodie auf den betulichen, stocksteifen Sexual-Vitalismus, den der Autor von der Bühnen-Kanzel predigt, ist Kriegenburgs Fettpuppenspiel auch hinreißend amüsant, zumal in seinem grellen Aberwitz Melancholie mitschwingt.
Um so rätselhafter bleibt, warum der vielleicht beste Regisseur der Gegenwart diesen angestaubten Text voller Libertinage-Pathos nicht stärker gekürzt hat. Warum lässt er über drei Stunden all die einschläfernden Dialoge quellen, diese krampfigen Diskussionen, die mit einem verflachten Nietzscheanismus sexuelle Freizügigkeit propagieren, von Natur und Nacktheit faseln, aber sich in ihrer Unsinnlichkeit selbst widerlegen?
Über solche Fragen können immerhin die pfundigen Schauspieler (unter anderen Annette Paulmann) hinwegtrösten. Alles übrige ist dann erst mal wurst. Und Wulst sowieso. (Alexander Altmann) Foto: Brigitte Hobmeier als Franziska. (Foto: Judith Buss)

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