Kultur

Die Großeltern (Franziska Kleinert als Ziehharmonika spielende Oma und Max de Nil als polternder Opa) wollen das Althergebrachte verteidigen. Ihr Enkel, das "Ich", sagt sich derweil von der Sprache los. (Foto: Falk von Traubenberg)

22.03.2013

Zwischen zwei Völkern

Peter Handkes "Immer noch Sturm" am Mainfranken-Theater Würzburg thematisiert Kindheitstrauma des Autors

Ein Riss spaltet den schrägen, schweren Himmel im Mainfranken Theater Würzburg bei Peter Handkes Stück Immer noch Sturm. Allerdings ist das Ganze weniger ein bühnentaugliches Drama als eine Erzählung mit lyrischen, reflektierenden und dramatischen Elementen; der Autor nennt es ein „historisches Traumspiel“. Regisseurin Bernarda Horres gewichtet auch deshalb die Personen ähnlich, lässt sie deutlich Rollen verkörpern, lässt aus dem Untergrund der Erinnerung eines ständig anwesenden Ich langsam Gestalten heraufkommen, die Verstorbenen der Familie des Ich-Erzählers.
Der soll das Alter Ego des Schriftstellers Handke darstellen, betroffen vom Schicksal seiner Herkunft. Geboren im Krieg, symbolisiert er die Zerrissenheit seiner Familie. Die schöpft ihre Identität aus der Heimat in Südkärnten, aus der slowenischen Sprache und aus dem landwirtschaftlichgen Broterwerb durch Obstanbau. Auch deshalb kleidet Ausstatterin Anja Jungheinrich die Personen schlicht, eher bäuerlich.


Gefühl des Verlorenseins


Ein Motiv wird immer wieder betont: Äpfel; sie liegen in großer Menge auf der bis auf zwei Bänke leeren Bühne, immer wieder werden sie angebissen, weggeworfen, gegessen oder auch als Wurfgeschosse verwendet. Einerseits betont das die Verbundenheit mit der Familientradition, andererseits lässt das auch an den Apfel des Paradieses denken. Daraus wurden die Personen durch den Krieg vertrieben.
In dieser Zeit wurde auch die Konfrontation zwischen Slowenen und Deutschen verschärft, und das Ich wächst im Konflikt zwischen zwei Welten auf, zwischen der eigentlich bestimmenden slowenischen Herkunft der Mutter und der sprachlich dominierenden seines eher zufälligen Vaters, eines deutschen Wehrmachtsoffiziers. Seine Angehörigen leiden unter der Geschichte. Dass die jüngeren Brüder der Mutter zwangsrekrutiert an der Front fallen, dass die Tante und der älteste Onkel sich den Partisanen anschließen, dass sie, von ihrer Mission frustriert, ebenso umkommen, trägt nicht zum Frieden bei.
Das Ich selbst bleibt eine Art Zwitter zwischen beiden Völkern. Ein Gefühl des Verlorenseins, des Verlierens in einer Art kriegerischem „Indianerspiel“, des unwiederbringlichen Verlustes von Heimat durchzieht das ganze Stück. Maria Brendel als unfrohe Tante Ursula und Kai Markus Brecklinghaus als kämpferischer Onkel Gregor stellen dabei „kantige“ Charaktere dar; die jüngeren Brüder, Benjamin (Robin Bohn) und Valentin (Boris Wagner) werden ebenso wie diese Opfer des Krieges, der eine begeistert, der andere dazu gezwungen. Die Großeltern – Max de Nil als polterndes Oberhaupt der Sippe und Franziska Kleinert mit Ziehharmonika als freundliche Familiengroßmutter – wollen das Alte verteidigen und scheitern. Die Mutter (Edith Abels) schließlich gilt auf Grund ihres sexuellen Fehltritts als Verräterin, sichtbar in ihrem weißen Pelz mit Tierkopf. Lediglich das Ich, der recht natürlich agierende Kai Christian Moritz, bleibt am Ende ratlos und betroffen zurück, aber stellt fest: „Der einzige, der überlebt hat, hat sich von der Sprache losgesagt“. So urteilt Peter Handke, immer noch bestürmt von seinem eigenen Schicksal.
(Renate Freyeisen)

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