Landtag

Soll sich Einzelhandel vermehrt an Ortsrändern niederlassen? Dazu gehen die Expertenmeinungen auseinander. (Foto: dapd)

22.03.2013

Angst vor Wildwuchs und Siedlungsbrei

Anhörung: Experten zerpflücken den Gesetzentwurf der Staatsregierung zum Landesentwicklungsprogramm (LEP)

Bei einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses zum Entwurf des neuen Landesentwicklungsprogramms (LEP) haben die geladenen Experten die Vorlage von Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) regelrecht zerpflückt. Grundtenor war, dass der Entwurf den Anforderungen einer geordneten Landesplanung nicht genügt und keine tragfähigen Konzepte zur koordinierten Weiterentwicklung Bayerns enthält. Eine große Mehrheit der Fachleute forderte die Politik auf, den Entwurf für eine komplette Überarbeitung zurückzuziehen. Zumindest aber solle man wegen der großen Anzahl an Änderungswünschen das weitere Beratungsverfahren nicht im Schnelllauf bis zur parlamentarischen Sommerpause durchpeitschen, fanden die Experten.


„Beim Lesen des LEP wird man immer deprimierter“


Der Ausschussvorsitzende Erwin Huber (CSU) betonte dennoch, die Regierungsmehrheit wolle am bisherigen Zeitplan festhalten. Er gehe davon aus, „dass wir im weiteren Verlauf der parlamentarischen Beratungen ein gutes LEP hinkriegen“.
Die Oppositionsfraktionen fühlten sich dagegen in ihrer Kritik und ihrem Wunsch nach einem Neustart für die LEP-Fortschreibung bestätigt. Die SPD-Abgeordnete Annette Karl appellierte an die Regierungskoalition, den Wunsch der Experten zu akzeptieren und ohne Zeitdruck im Diskurs mit Fachleuten und Bürgern ein neues LEP zu entwickeln, das dem „großartigen Ruf“ der bayerischen Landesplanung gerecht werde. Die vorliegende Fassung sei dafür untauglich.
Schon die an den Anfang der Anhörung gestellten Beiträge aus Sicht der Wissenschaft gaben den Tenor der Anhörung vor. Die Professorin Gerlind Weber von der Universität für Bodenkultur in Wien vermisste im LEP-Entwurf der Koalition den erforderlichen Paradigmenwechsel zum Boden- und Ressourcenschutz. Vor allem mit der Flexibilisierung bei der Ausweisung von Einzelhandels- und Gewerbegebieten auf der grünen Wiese setze die Staatsregierung „auf den falschen Dampfer“. Diese Projekte seien „Boden- und Energiefresser“ und zerstörten Ortszentren. Professor Hubert Job von der Universität Würzburg befürchtet bei einer Umsetzung der aktuellen LEP-Vorgaben vor „Wildwuchs und Siedlungsbrei“ in ganz Bayern.
Die umfassendste Kritik kam von Professor Holger Magel, dem Präsidenten der Akademie Ländlicher Raum in München. „Dieser Entwurf ist ein Torso, man ist verzweifelt und wird immer deprimierter, je öfter man ihn liest“, sagte er. Mit den Schlagwörtern Entbürokratisierung und Deregulierung werde am LEP ein „beispielloser Bildersturm“ vorgenommen. Durch fehlende oder undifferenzierte Zielvorgaben, die nicht auf die unterschiedlichen Bedürfnisse im Land eingingen, drohe „das gelobte Land Bayern zu einem geteilten Land zu mutieren“ – nämlich in prosperierende Ballungszentren und abgehängte ländliche Regionen. Vorschläge zu einer Verbesserung des LEP aus seiner Sicht unterließ Magel. „An diesem missglückten Entwurf kann man nur noch herumdoktern, aber es wird trotzdem daraus nichts mehr Gescheites“, sagte er zur Begründung. Dieser LEP-Entwurf sei „Bayern und seinen Bürgern nicht zumutbar“.
Das Meinungsbild der Experten von den kommunalen Spitzenverbänden über die Vertreter der Wirtschaft bis hin zum Umweltschutz war eindeutig. Vor allem auf den Zukunftsfeldern demografischer Wandel und Energiewende bleibe der LEP-Entwurf im Ungefähren stecken, hieß es.
„Schöne Beschreibungen taugen für Reiseführer, aber nicht für Landesentwicklungsprogramme“, spottete der Regensburger Oberbürgermeister Hans Schaidinger (CSU). Die Staatsregierung drücke sich um zentrale Zielvorgaben, ohne die ein LEP aber keinen Wert habe. „Es allen recht machen zu wollen, ist wohlfeil, aber man wird damit scheitern“, so Schaidinger. Ein großes Manko sei zudem, dass die dringend erforderliche Reform des Systems der zentralen Orte überhaupt nicht angegangen werde. Jürgen Busse, Geschäftsführer des Bayerischen Gemeindetags, sprach von einer „vertanen Chance“.
Unterschiedliche Bewertungen gab es bei der Debatte über die geplanten Lockerungen für Gewerbe- und Einzelhandelsansiedlungen an Ortsrändern. Hier sieht der Entwurf weitreichende Ausnahmen vom bisherigen Gebot zur bevorzugten Entwicklung innerörtlicher Standorte. Gemeinde- und Landkreistag sowie die Industrie- und Handelskammern (IHK) begrüßten die angedachte Flexibilisierung. Kleineren Gemeinden dürften keine Entwicklungsmöglichkeiten verbaut werden, erklärte Gemeindetagsvertreter Busse. Für die IHKs gab Vize-Hauptgeschäftsführer Peter Kammerer zu bedenken, dass innerörtliche Gewerbeansiedlungen von der Bevölkerung oft skeptisch betrachtet würden. Alle anderen Experten warnten dagegen vor einer weiteren Zersiedelung der Landschaft und einer Verödung von Innenstädten. Wenn letztlich jede Kommune machen könne, was sie wolle, bestehe die Gefahr einer flächendeckenden Zerstörung der gewachsenen Kulturlandschaft, erklärten mehrere Sprecher unisono.
Ausschusschef Huber kündigte an, die in der Anhörung vorgebrachten Argumente in die weitere parlamentarische Beratung einzubringen. Nach derzeitiger Planung soll das neue LEP im Juni vom Landtag verabschiedet werden. (Jürgen Umlauft)

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