Landtag

Weil Frauen und Männer unterschiedlich auf Medikamente reagieren, ist im Bereich der Pharmakologie Genderforschung notwendig. (Foto: Bilderbox)

10.08.2012

"Bayern hinkt anderen Bundesländern hinterher"

Gender-Studies: Grüne fordern eine Koordinierungsstelle für die Geschlechterforschung und eine zuverlässige Finanzierung

Frisch sei das Thema nicht. „Passiert ist halt nix“, resümierte Sepp Dürr die Zeitspanne seit der Anhörung im Hochschulausschuss des bayerischen Landtags im Juni 2008 zum Thema „Geschlechterforschung in Bayern“ bis heute. Weder sei eine verlässliche finanzielle Größe explizit für diese Disziplin zur Verfügung gestellt worden, noch habe die Staatsregierung eine Koordinierungsstelle für Gender Studies ins Leben gerufen. Entsprechende Anträge seiner Fraktion seien abgelehnt worden. Nun haben sie ihre Forderungen erneuert.
Diese seien angebracht, sagte Hildegard Macha, Leiterin des Gender Zentrums an der Universität Augsburg. Schließlich hinke Deutschland bei der Geschlechterforschung unter anderem den skandinavischen Ländern hinterher. Auf nationaler Ebene wiederum sei Bayern nicht auf der Höhe (siehe Infokasten). „Das ist ein Innovationshemmnis“, urteilt Dürr. Beispielsweise in der Medizin führe die eingeschränkte Sicht auf die Geschlechter zu vermeidbaren Situationen: Weil Medikamente überwiegend an Männern getestet würden, käme es bei Frauen, deren Organismus anders reagiere, während der Therapie öfter zu heftigen Nebenwirkungen.

Genderforschung geht über Frauenförderung hinaus

Indes ist der Gegenstand der Geschlechter-Wissenschaft vielen nicht klar: Genderforschung geht weit über die Frauenförderung – häufig wird die Disziplin einzig damit assoziiert – hinaus: Aspekte beider Geschlechter, ihre Ursachen und möglichen Auswirkungen sowie Lösungsansätze interessieren die Forscher. „Beispielsweise wissen wir, dass drei Gruppen unter den Jungen als Bildungsverlierer gelten: diejenigen mit Migrationshintergrund, diejenigen mit Behinderungen und diejenigen, die aus dem so genannten Prekariat stammen“, sagte Macha.
Mädchen dagegen gelten laut der Pädagogik-Professorin insgesamt als Bildungsgewinnerinnen: „Innerhalb von 100 Jahren, an deren Anfang sie nicht einmal Abitur machen durften, haben sie die Jungen in der Bildung überrundet.“ Wohlbemerkt in der Bildung. In der Arbeitswelt würden Frauen nach wie vor „radikal diskriminiert“. Die Zahlen, mit denen Macha diese These belegte, sind bekannt und können doch nicht oft genug wiederholt werden. Sie verweisen nämlich auf eine beunruhigende Stagnation: Lediglich drei Prozent der Dax-Unternehmen beschäftigen Frauen in ihren Vorständen. 87 Prozent der Professuren seien an Männer vergeben. „Und das nach 35 Jahren Frauenförderung in diesem Bereich“, urteilt die Hochschullehrerin.
Diese mickrigen Zahlen haben laut Macha dieselben Ursachen wie die Tatsache, dass 85 Prozent der Mütter in Deutschland gerne mehr arbeiten möchten, es aber nicht können: Es fehlen Kinderbetreuung und Teilzeitmodelle. Parallel – auch ein Ergebnis der Genderforschung – würden viele Männer gerade in Führungspositionen lieber weniger arbeiten, als sie es tun. Diesen gesellschaftlichen Status Quo erläutern Macha und ihre Kolleginnen vom Gender Zentrum Augsburg Personalverantwortlichen in Verwaltung und Betrieben. Wie zäh diese Vermittlung sein muss, lässt sich nur erahnen. So würden in Deutschland Führungspositionen in Unternehmen oder Professuren selten auf zwei Personen verteilt. Eine der Begründungen, die Macha und ihre Mitstreiterinnen zu hören bekommen: „Das haben wir noch nie gemacht.“
Natürlich gibt es tiefere Ursachen für dieses Phänomen. „Deutschland ist traditionell ein patriarchales Land. Das Dritte Reich hat das nicht besser gemacht“, erklärt Macha. Hierzulande gebe es nach wie vor „eine ziemliche Mütter-Ideologie“. Deren negative Auswüchse zeigten sich in Begriffen wie Rabenmutter. In anderen Sprachen wie dem Französischen gebe es dazu kein Pendant.
(Alexandra Kournioti)

Info: Das Nischendasein der Gender-Studies in Bayern


Geschlechterforschung und Frauenförderung sind nicht – wie häufig angenommen wird – dasselbe. Vielmehr handelt es sich bei Gender Studies um „die Analyse von Geschlechteraspekten in allen wissenschaftlichen Disziplinen“, wie die Professorin Hildegard Macha und der Abgeordnete der Landtagsgrünen Sepp Dürr in einer Pressekonferenz gemeinsam erklärten.
Vor allem in einem sind sich die Leiterin des Gender Zentrums an der Augsburger Universität und der forschungspolitische Sprecher der Grünen einig: Dass Deutschland in Sachen Gender-Forschung den meisten anderen Wirtschaftsnationen hinterherhinkt. Innerhalb der Bundesrepublik liege Bayern hinter Ländern wie Berlin und Nordrhein-Westfalen (NRW). „In NRW gibt es Professuren im zweistelligen Bereich“, erklärte Macha. In Bayern werde diese Disziplin an lediglich vier Hochschulen „mitgemacht“. Laut Dürr handelt es sich dabei um „erfreuliche Ausnahmen wie etwa die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg oder der Bereich Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität München (TUM)“. Allerdings seien sie nicht das Ergebnis einer zielgerichteten Forschungspolitik. Was im Freistaat benötigt werde, sei eine Koordinierungsstelle für den Bereich Genderforschung.
Wie wichtig Vernetzung ist, beweist die Arbeit des interdisziplinär ausgelegten Gender Zentrum Augsburg. Die Fachkräfte dort unterstützen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bei der „Integration von Gender- und Diversity-Wissen in ihrer fachspezifischen Arbeit“. (aki)

Kommentare (1)

  1. Assessor am 11.08.2012
    Aus dem grünen Beitrag wird nicht klar, was die Aufgaben der Koordinationsstelle sein sollen. Versorgung einer Grünen?
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