Galerist Bülent Kullukcu fühlt sich vom bayerischen Kulturbetrieb ausgeschlossen. Obwohl er in Markt Indersdorf (Landkreis Dachau) geboren wurde, müsse er wegen seines Namens ständig beweisen, dass er ausreichend künstlerische Qualitäten besitze. „Das nervt“, klagt er. Um zu verdeutlichen, wie wenig sich in den letzten 30 Jahren verändert hat, zeigt Kullukcu beim Fachgespräch „Diversität im staatlichen Kulturbetrieb“ der Grünen im Maximilianeum ein Video von Kabarettist Gerhardt Polt aus den Siebzigerjahren. Darin trifft eine deutsche Spießerfamilie auf den schwarzen Herrn Tschabobo aus Afrika. Obwohl dieser von seinem Studium in Yale und Cambridge berichtet, versuchen ihn alle Beteiligten zu überreden, doch auf einer Buschtrommel etwas aus dem „Urwald“ vorzuspielen. „Meine Generation fühlt sich wie Tschabobo“, erläutert Kullukcu im Landtag. „Wir dürfen zwar mitmachen, werden aber nur ernst genommen, wenn wir unsere Migrationsgeschichte erzählen.“
Migrationsforscher sieht Handlungsbedarf
Der Migrationsforscher Mark Terkessidis gibt zu bedenken: „Schon jetzt sind in allen bayerischen Städten Migrationskinder unter sechs Jahren in der Mehrheit – in Nürnberg sind es sogar zwei Drittel.“ Doch trotz des dramatischen demographischen Wandels ändere sich der staatliche Kulturbetrieb nicht. „Eine griechische Band, die mit türkischen Instrumenten russische Volksweisen spielt, ist keine interkulturelle Öffnung“, ergänzt er. Stattdessen solle eine Organisationskultur entstehen, in der Schauspieler mit Migrationshintergrund nicht nur sich selbst spielen. Zudem müsse es beim Personal ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern geben. Nicht zuletzt sprächen die pompösen Theater nur das deutsche Bildungsbürgertum an und wirkten auf viele Menschen mit Migrationshintergrund einschüchternd.
Letzteres überrascht die stellvertretende Leiterin der Kunstabteilung im Kunstministerium, Angelika Kaus. „Für mich waren die schönen Theater immer eine Wertschätzung gegenüber dem Kulturbetrieb“, versichert sie. Außerdem seien Oper, Theater, Museen und Konzerthäuser von jeher international ausgerichtet. So träten beispielsweise beim Staatsballett Tänzer aus 30 Nationen, auf und an der Kunstakademie hätten 60 Prozent der Professoren einen Migrationshintergrund. Für den Programminhalt sind nach Kaus’ Worten allein die Leiter und Intendanten verantwortlich: „Auf die Programmgestaltung nimmt das Ministerium keinen Einfluss, weil es keine Staatskunst geben soll.“ Um die kulturelle Teilhabe zu erhöhen, gebe es Workshops, Projekte und Vorführungen für Kinder mit ausländischen Wurzeln.
Sepp Dürr beklagt „Unterschicht“-Programm
„Das Kunstministerium hat seit den Siebzigern nicht dazugelernt“, konstatiert der kulturpolitische Sprecher der Grünen, Sepp Dürr. Die angesprochenen Programme seien alle nur für die „Unterschicht“ und dienten nicht der repräsentativen Vielfalt im staatlichen Kulturbetrieb. „Die Staatsregierung weiß zwar, dass sich die Bevölkerung ändert, will aber trotzdem keine Änderung der Kultur“, glaubt er. Stattdessen solle sich jetzt das Publikum anpassen, was Dürr „audience development“ nennt. Er befürchtet, dass die öffentlich geförderten Einrichtungen ohne eine Ausrichtung auf Migranten in Zukunft Probleme bekämen. „Wenn Deutschland ein Einwanderungsland ist“, fragt er ins Publikum, „warum sieht man das dann nicht auf den Bühnen?“
(DAVID LOHMANN)
INFO: Antrag der Grünen zur Vielfalt im Kulturbetrieb
In ihrem Antrag „Handlungsprogramm Kulturwirtschaft“ fordert die Grünen-Fraktion von der Staatsregierung ein Konzept zur interkulturellen Kulturarbeit.
Kunst- und Kultureinrichtungen: Sie sollen „in ihrer Arbeit und ihren Angeboten interkulturelle Fragestellungen berücksichtigen, Menschen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe adressieren und bei Personalneueinstellungen auf interkulturelle Kompetenz achten“.
Ländlicher Raum: Hier sollen Anreize zur interkulturellen Kulturarbeit geschaffen werden. „Bestehende Netzwerke sollen unterstützt beziehungsweise neu initiiert und der Austausch von beispielhaften interkulturellen Kunst- und Kulturprojekten gefördert werden.“
Künstler: „Für im Kulturbereich Tätige sollen Angebote zur interkulturellen Fortbildung und Qualifizierung gemacht werden.“
Kunst- und Kulturprojekte: Die, „die mit den Mitteln der Kunst den Dialog mit und zwischen den in Bayern lebenden Menschen unterschiedlichster Herkunft unterstützen und dazu beitragen, dass kulturelle Vielfalt als Bereicherung und als Chance wahrgenommen wird“, sollen gefördert werden. „Bei der Auswahl der Projekte sollen insbesondere Künstlerinnen und Künstler mit Migrationshintergrund Berücksichtigung finden.“
Der von den Grünen geforderte Bericht der Staatsregierung zur interkulturellen Kulturarbeit kann unter
http://bit.ly/Kulturarbeit nachgelesen werden.
(LOH)
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