Landtag

„Es fehlen Fachkräfte in Hülle und Fülle“: Rund 20 Prozent der Unternehmen in Bayern haben schon Flüchtlinge beschäftigt. (Foto: dpa)

14.07.2017

"Der Ermessensspielraum wird nur negativ ausgelegt"

Die 3+2-Regelung soll Firmen und Flüchtlingen Planungssicherheit für die Ausbildung geben – in Bayern gibt es aber keinen einheitlichen Vollzugsprozess

Immer wieder erhalten in Bayern gut integrierte Flüchtlinge mit ausgezeichneten Schulnoten einen Abschiebebescheid – manche sogar zwei Tage vor Ausbildungsbeginn. Die SPD im Landtag kann das nicht verstehen. „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob es dabei um politische Grundlinien geht“, sagt die wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion, Annette Karl, beim Fachgespräch „3+2-Regelung in der Praxis“ im Maximilianeum. Die Abgeordnete erhalte in vielen Gesprächen mit Unternehmen die Rückmeldung, dass deswegen innerhalb der Betriebe eine große Planungsunsicherheit herrsche.

Auch Karls Fraktionskollegin Alexandra Hiersemann, Vizevorsitzende des Ausschusses für Eingaben und Beschwerden, muss sich zunehmend mit Petitionen von mittleren und kleineren Betrieben beschäftigen. „Dabei geht es hauptsächlich um junge Afghanen, die ein Praktikum gemacht haben und die der Arbeitgeber gerne für eine Ausbildung übernehmen würde“, erzählt sie. Obwohl die Flüchtlinge Anspruch auf die sogenannte 3+2-Regelung haben, laufe der Vollzug in Bayern nicht so problemlos, wie es sich der Bundesgesetzgeber vorgestellt habe. Durch die 3+2-Regelung soll ein geduldeter Flüchtling, der eine Ausbildung in Deutschland begonnen hat und die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, auch dann die Ausbildung abschließen und eine zweijährige Anschlussbeschäftigung ausüben können, wenn sein Asylantrag abgelehnt wird. Maßgeblich ist allerdings der jeweilige Einzelfall. Eine pauschale Anwendung der 3+2-Regelung gibt es bisher nicht.

Viele Betriebe bekommen Steine in den Weg gelegt

„Der Ermessensspielraum der Ausländerbehörden wird unserer Einschätzung nach aber immer nur negativ ausgelegt“, erklärt Hubert Schöffmann vom Bayerischen Industrie- und Handelskammertag. Obwohl es mittlerweile vier oder fünf Schreiben des Innenministeriums gebe, existiere immer noch kein einheitlicher Verwaltungs- und Vollzugsprozess. „Es wird immer nur scheibchenweise nachgebessert.“ Das führe in den Ausländerbehörden und in den Unternehmen zu Irritationen.

Schöffmann fordert, Asylantragsverfahren innerhalb von drei Monaten abzuarbeiten, damit Gewissheit herrscht, ob der Flüchtling arbeiten darf – nicht nur aus humanitären, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Bis zu 20 Prozent der Unternehmen haben schon Flüchtlinge beschäftigt, weitere 25 Prozent würden zukünftig gern in die Zielgruppe investieren. Noch sei die Stimmungslage positiv. „Wenn wir aber weiter so rum-eiern, wird es schwierig.“

„Das letzte innenministerielle Schreiben war eine Mogelpackung“, schimpft Josefine Steiger von der IHK Schwaben. Seit März dieses Jahres warte sie auf 49 Arbeitserlaubnisse für Afghanen und Menschen aus Afrika – obwohl diese zum Teil bereits eine eigene Wohnung und Verträge mit einer Vergütung von 1500 Euro pro Monat hätten. Hauptargument für die Verzögerung sei laut Steiger immer die Identitätsklärung, doch die sei trotz der Zusammenarbeit mit den Heimatländern schwierig. Obwohl viele Ausbildungsplätze für Flüchtlinge offen seien, sei die IHK bei der Politik immer auf großer „Betteltour“.

„Viele Betriebe haben das Gefühl, Steine in den Weg gelegt zu bekommen“, beklagt Marcus Halder vom Bayerischen Handwerkstag. Irritierend sei für viele Mitglieder, dass anderswo großzügiger entschieden werde – beispielsweise in Baden-Württemberg. Verschärfend kommt laut Halder hinzu, dass gerade viele kleine und mittlere Betriebe oft Fehlinformationen erhalten. „Wenn sich die Lage dann anders darstellt, gibt es immer wieder große Enttäuschungen.“ Der Bayerische Handwerkstags würde daher eine bundeseinheitliche Regelung begrüßen.

Auch dem Bund der Selbstständigen fehlen Fachkräfte „in Hülle und Fülle“. „Macht es uns ein bisschen leichter“, appelliert deren Präsidentin Gabriele Sehorz an die Politik. Integration in Familienbetrieben sei das Beste, was Flüchtlingen passieren könnte. Sie spricht sich für ein Zuwanderungsgesetz aus.
Jan Krüger vom DGB Bayern berichtet, dass in manchen Fällen die 3+2-Regelung wegen „mangelnder Erfolgsaussichten in der Ausbildung“ nicht greift. Das solle die Ausländerbehörde doch den Betrieben überlassen, fordert er. „Grundidee der Regelung war doch Planungssicherheit für Betriebe und ein Ausbildungsanreiz für Flüchtlinge.“

Christian Kaiser von der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz hingegen sieht Bayern auf einem guten Weg. Es gebe zwar viel Abstimmungsbedarf, aber der Austausch zwischen Kammer und Ausländerbehörden nehme Fahrt auf. „Bisher ist uns kein Fall bekannt, wo die 3+2-Regelung verletzt wurde“, unterstreicht Kaiser. Das bestätigt auch Sebastian Kühnel von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. In den meisten Fällen seien Deutschkenntnisse, Bleibeperspektive, Straffälligkeit, das Herkunftsland oder die mangelnde Kooperation beim Asylverfahren Grund für die Ablehnung.

Die SPD-Abgeordneten zeigen sich verwundert, dass kein Fall bekannt sein soll, in dem die 3+2-Regelung verletzt wurde. Petitionsausschussvize Hiersemann weist aber darauf hin, dass viele Ausbildungsgenehmigungen in Bayern immer nur für ein Jahr erteilt werden. Das sei nicht im Sinne des Bundesgesetzgebers, führe zu Verwirrung bei Arbeitgebern und klinge in ihren Ohren „etwas willkürlich“. „Die Regelung heißt schließlich 3+2 und nicht 1+1+1.“ (David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. voa zua am 17.07.2017
    Bei aller verständlicher Argumentation: Man sollte auch die eigenen, arbeitslosen Bürger nicht vergessen.
    Für sie ist die aktuelle Praxis vieler Firmen ein Schlag ins Gesicht. Sie bekommen eine Absage nach der anderen - nach dem (bitte nicht falsch verstehen:) "billigen Flüchtling" rufen sie aber bei jeder (politischen) Gelegenheit...

    Ich glaube, die (immer noch zu wenig) vorhandenen Beamten in den Ausländerbehörden tun was sie können und verlieren dabei die Gesamtsituation nicht aus dem Auge. Wo (mit Hochdruck und Personalmangel) gearbeitet wird, passieren nun eben auch Fehler. Diese sind für die Betroffenen natürlich nicht schön - aber darüber können die Gerichte entscheiden.
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