Landtag

Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte wie im mittelfränkischen Vorra haben sich im Vergleich zum Vorjahr auf 25 Straftaten fast verdoppelt. (Foto: dpa)

30.04.2015

Erschreckende Facetten von Rassismus

Rechtsextreme Übergriffe: Die Grünen werfen der Staatsregierung vor, die Gefahr kleinzureden – die CSU nennt die Anschuldigungen „freie Fantasie“

Brandanschläge, Einschüchterungsversuche und nationalsozialistische Parolen – seit einigen Monaten steigen nach Informationen des Innenministeriums rechtsextreme Aktivitäten im Freistaat. „Am erschreckendsten ist die extrem gestiegene Zahl von gemeldeten Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte“, klagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen Katharina Schulze bei der Veranstaltung „Gewalttätiger Rechtsextremismus in Bayern – ein Lagebild“ im Maximilianeum. Obwohl es bereits seit 2009 einen kontinuierlichen Anstieg gegeben habe, hätten sich die Zahlen bis letztes Jahr auf 25 Straftaten noch mal nahezu verdoppelt. Schulze beklagt vor allem die Aufklärungsquote in diesem Bereich: Sie liegt mit 46 Prozent 18 Prozent unter der durchschnittlichen Aufklärungsquote. „Die Behörden sind nicht in der Lage, die Fälle aufzuklären“, glaubt die Abgeordnete. Besonders beunruhigend findet sie, dass 24 mit Haftbefehl gesuchte Neonazis aus Bayern unerkannt untergetaucht sind.

Auf Nachfrage von Schulze veröffentlichte das Ressort von Joachim Herrmann (CSU) weitere Zahlen: So gab es 2014 offiziell 99 rassistische Kampagnen wie Hakenkreuzschmierereien – zwischen 2007 und 2013 waren es insgesamt lediglich 56. Die angezeigten Delikte im Bereich Hasskriminalität, also die Bedrohungen anderer Menschen wegen deren Nationalität, Hautfarbe oder Religion, ist im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent auf 596 Fälle gestiegen. Dabei spielt insbesondere das Internet mit seinen sozialen Netzwerken wie Facebook eine immer größere Rolle. Die Grünen gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus, weil in der Antwort der Staatsregierung drei Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte fehlen, die in der Antwort der Bundesregierung zum Thema rechtsextremistische Gewalttaten aufgelistet werden. Außerdem komme die Aufarbeitung von Altfällen nicht voran.

Als Konsequenz wirft Schulze der Staatsregierung vor, die Gefahr von rechts „kleinzureden“. Sie fordert daher einen stärkeren Ermittlungsdruck gegen rechtsextreme Straftäter, eine ressortübergreifende Bekämpfung von Rassismus, mehr Geld für Projekte zur Demokratiebildung, die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Überprüfung vergangener Tötungsdelikte, die stärkere Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen und eine Überarbeitung des „Handlungskonzepts gegen Rechtsextremismus“. Darüber hinaus wollen die Grünen einen neuen Antrag im Landtag einbringen, um für Opfer von Hasskriminalität eine eigenständige Beratungsstelle einrichten zu können. „Rassismus beginnt nicht erst, wenn die Bombe hochgeht“, mahnt Schulze und verweist auf die Leipziger „Mitte-Studie“. Diese kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus in Bayern besonders hoch sind (siehe Infokasten).

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Landtag Florian Herrmann (CSU) weist eine hohe rassistische Gesinnung der Menschen im Freistaat zurück. So habe Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin bereits 2006 die fehlende Repräsentativität der Umfragen beanstandet und den Verfassern methodische Schwächen vorgeworfen. „Auch der von den Grünen erhobene Vorwurf, das bestehende Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus sei nicht überarbeitet worden, ist haltlos“, erklärt Herrmann. Wenn eine Partei auf einem Auge blind sei, seien dies die Grünen auf dem linken, poltert der Abgeordnete. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, er habe in seiner gesamten Amtszeit nie den Rechtsradikalismus auf Kosten des Linksradikalismus vernachlässigt. Die Anschuldigungen der Grünen seien daher „völlig absurd“, „freie Fantasie“ und „grober Unfug“. (David Lohmann)

INFO: Mitte-Studie der Universität Leipzig Alle zwei Jahre fragt die Universität Leipzig mit der „Mitte-Studie“ in 18 Aussagen rechtsextreme Einstellungen in den Bundesländern ab. Dazu zählen Stammtischfloskeln wie „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“,„Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ oder „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“.

In Bayern war die Zustimmung zu diesen Aussagen letztes Jahr stärker ausgeprägt als in anderen westdeutschen Bundesländern – teilweise sogar höher als in Ostdeutschland. So stimmte jeder vierte Bayer Aussagen mit chauvinistischen und sogar jeder dritte Aussagen mit ausländerfeindlichem Inhalt zu. Frauen waren laut der Studienergebnisse weniger empfänglich für rechtsextreme Parolen. Die Forscher stießen im Freistaat außerdem auf eine höhere sozialdarwinistische Einstellung als im übrigen Westdeutschland und auf einen höheren Antisemitismus als im gesamten Bundesgebiet. Darüber hinaus verharmlosten Bayern in den Fragebögen überdurchschnittlich häufig den Nationalsozialismus.

Positiv hervorzuheben ist dagegen der Wert der Demokratie. Sie hat in Bayern bundesweit die höchste Akzeptanz – als Idee und in ihrer Umsetzung. Das bestätigt auch der mit sechs Prozent relativ geringe Anteil an Befürwortern einer Diktatur. So verwundert es nicht, wenn die Zustimmung zur „Unterwerfung unter eine Autorität“ im Vergleich zu anderen Landesteilen in Bayern am geringsten ist. (LOH)

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