Landtag

Beim Datenschutz liegt vieles im Argen. Die EU will deshalb eine neue Richtlinie erlassen.(Foto: DAPD)

02.03.2012

EU-Regelungswut erzürnt die Fraktionen

Ausschüsse für Recht und Europa: Anhörung zur Reform des europäischen Datenschutzrechts

In seltener Eintracht haben sich Landtag und Staatsregierung gegen die Pläne der EU-Kommission zur Reform des europäischen Datenschutzrechts gewandt. Es sei an der Zeit, die Datenschutzrichtlinie zu modernisieren, hieß es unisono. Allerdings solle die EU hier nicht so viele Kompetenzen erhalten wie derzeit von ihr gewünscht.
In einer gemeinsamen Sitzung des Rechts- und des Europaausschusses begrüßten Redner aller Fraktionen genauso wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zwar im Grundsatz die Brüsseler Idee, die alte Datenschutzrichtlinie aus dem Jahr 1995 den neuen technischen Möglichkeiten und vor allem den globalen Angeboten von Internet-Dienstleistern anzupassen. Allerdings verwahrten sie sich dagegen, die diesbezüglichen Regelungskompetenzen fast vollständig an die EU abzutreten. Dies widerspreche dem Subsidiaritätsgedanken, so die einhellige Meinung.
Nach den Plänen der EU soll die bisherige Richtlinie in eine europaweit einheitlich geltende Verordnung umgewandelt werden. Der Grundrechtsschutz der Bürger soll dadurch gestärkt und gleichzeitig mehr Wirtschaftswachstum durch den Abbau unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften generiert werden, erklärte der Direktor der EU-Generaldirektion Justiz, Paul Nemitz. Die Unternehmen würden dadurch von Bürokratiekosten in Höhe von rund 2,7 Milliarden Euro pro Jahr entlastet.
Nemitz ging davon aus, dass durch einen europaweit einheitlichen Datenschutz das Vertrauen der Verbraucher in die digitale Wirtschaft erhöht werde. Derzeit trauten 71 Prozent der EU-Bürger und 81 Prozent der Deutschen den Internet-Unternehmen nicht, mit ihren persönlichen Daten sensibel umzugehen. Das, so Nemitz, sei ein „Wachstumshemmnis“.
Innenminister Herrmann warnte in seiner Stellungnahme davor, mit der EU-Verordnung würden die hohen Standards genügenden Datenschutzbestimmungen Deutschlands und Bayerns weitgehend außer Kraft gesetzt. „Es darf keine Blankovollmacht geben, allen Datenschutz auf die EU zu übertragen“, sagte Herrmann. Die Regelungen Bayerns und des Bundes seien „angemessener, präziser und vollzugstauglicher“. „Auch wir können Datenschutz“, betonte Herrmann. Bei allem Verständnis für eine europaweite Harmonisierung müssten die Nationalstaaten und ihre Regionen eigene Regelungskompetenzen behalten dürfen. „Mehr europäischer Datenschutz darf nicht zu weniger Datenschutz in Bayern führen“, stellte Herrmann fest.
Aus Sicht das Praxis äußerte sich Bayerns Datenschutzbeauftragter Thomas Petri kritisch zu den EU-Plänen. Zwar seien viele Ansätze begrüßenswert, doch würden die Handlungsspielräume der Datenschutzbehörden durch neue Eingriffsrechte der EU-Kommission massiv eingeschränkt. „Die Vereinheitlichung auf europäischer Ebene führt zu Abstrichen im deutschen und bayerischen Datenschutzniveau – da beißt die Maus keinen Faden ab“, sagte Petri. Ein weitergehender Datenschutz über die Rahmenvorgaben der EU hinaus werde mit der Verordnung nicht mehr möglich sein.
Auch Thomas Kranig, Präsident des Landesamtes für Datenschutzaufsicht, fürchtete, dass die hohen Standards in Bayern nicht gehalten werden können. Als Beispiele nannte er die Video-Überwachung und den betrieblichen Datenschutz. Wie Petri hielt auch Kranig die geplanten Durchgriffsrechte der EU für nicht akzeptabel. „Es ist mit meinem Verständnis von Unabhängigkeit nicht vereinbar, wenn die EU-Kommission Anordnungen und Handlungen der Datenschutzbehörden in den Ländern außer Kraft setzen kann“, erklärte Kranig.
Als unvereinbar bezeichnete der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Franz Schindler (SPD), das Ziel der EU, sowohl die Grundrechte der Bürger als auch den Binnenmarkt zu stärken. Mehr Marktfreiheit gebe es nur zu Lasten der Bürgerrechte. Das lehne er aber ab. Auch wehrte er sich gegen die Beschneidung der Mitspracherechte der Parlamente beim Datenschutz: „Wir geben unsere Gesetzgebungskompetenzen nur ungern ab, und schon gar nicht, wenn wir dafür etwas Schlechteres bekommen.“
Christine Stahl (Grüne) nannte es „unerträglich, dass wir beim Datenschutz hinter das zurückfallen wollen, was wir schon haben“. Die Bürger bräuchten eher mehr Datenschutz als weniger. In die Richtung eines Machtmissbrauchs rückte Petra Guttenberger (CSU) die Pläne der EU. „Die Selbstschaffung von Kompetenzen durch die EU-Kommission ist für uns nicht hinnehmbar“, sagte sie. Die Kommission setze sich damit über geltende EU-Verträge hinweg.
Andreas Fischer (FDP) erklärte, mit der Vorlage der EU werde das Ziel nicht erreicht werden, das Vertrauen in Internet-Dienste zu stärken. Zwar sei eine innereuropäische Harmonisierung wünschenswert, doch dürfe das nicht auf Kosten bestehender Datenschutzstandards erfolgen. Florian Streibl (Freie Wähler) warf der EU-Kommission vor, ihre Kompetenzen zu überschreiten. Mit der Datenschutzverordnung drohe ein „europäischer Absolutismus“.
Nemitz wies die geballte Kritik zurück. Die EU-Kommission handle „in voller Transparenz und rechtmäßig“, verteidigte er sich. Die geplante Verordnung bringe erhebliche Verbesserungen im Datenschutz. Die nationalen Datenschutzgesetze seien, soweit sie den öffentlichen Bereich beträfen, nicht gefährdet. „Vieles an Kritik, die heute geäußert wurde, beruht auf einem unzureichenden Studium der Vorlage“, fasste Nemitz die Debatte zusammen und zog sich damit den Unmut der Parlamentarier zu. (Jürgen Umlauft)

Kommentare (1)

  1. Jens Pfister am 02.03.2012
    Es ist unglaublich! Wir leben im Jahr 2012 und damit im Jahr 17 nachdem die ersten Bürger einen internetfähigen Computer besaßen. Trotzdem schaffen es unsere Politiker nicht, sich auf einen anständigen Datenschutz zu einigen. Es scheint, als ob viele noch nicht verstanden haben, dass aus der kleinen Netzgemeinde inzwischen ein vernetzes (Deutsch)Land geworden ist!
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