Landtag

Szene aus „Je suis Charlie“. (Foto: Sendtner)

13.01.2017

Gedenken an Charlie Hebdo

Im Landtag debattieren Regisseure, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde und ein Titanic-Redakteur über Satire

Als die Terroristen die Redaktion von Charlie Hebdo verließen, riefen sie: ‚Wir haben Charlie Hebdo getötet!’ – Wir wollten das Gegenteil beweisen.“ Ein Redaktionsmitglied der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo, das den Anschlag vom 7. Januar 2015 überlebte, erklärt vor der Kamera, warum der Rest der Redaktion nach der Hinrichtung ihrer Kollegen durch islamistische Terroristen als erstes eine neue Nummer herausbrachte.

Der Film Je suis Charlie ist nichts für zarte Gemüter. Dennoch kamen auf Einladung des scheidenden Integrationsbeauftragten der Staatsregierung, Martin Neumeyer (CSU), über 300 Zuschauer, um den französischen Dokumentarfilm mit deutschen Untertiteln am zweiten Jahrestag des Terroranschlags im Landtag zu sehen und anschließend mit den beiden Regisseuren Daniel und Emmanuel Leconte sowie Vural Ünlü, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Bayern und dem Titanic-Redakteur Torsten Gaitzsch zu diskutieren.

Martin Neumeyer, der zur Begrüßung die Freiheitshymne von Marius Müller-Westernhagen spielen ließ, machte sich deren Text zu eigen: „Freiheit ist das einzige, was zählt“ – und subsumierte darunter ausdrücklich „Presse-, Meinungs- und Karikaturenfreiheit“, auch wenn sie einem im Einzelfall nicht schmecke.

Der Film ist nichts für zarte Gemüter

Die beiden Filmemacher Daniel und Emanuel Leconte haben die überlebenden Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo unmittelbar nach dem Terroranschlag befragt, sie zeigen Interviews der Ermordeten und nicht zuletzt die Reaktion der Öffentlichkeit: Vier Millionen Menschen waren in diesem Januar 2015 in Frankreich auf der Straße, um ihre Solidarität mit Charlie Hebdo zu bekunden – so viel wie seit der Befreiung von der deutschen Besatzung nicht mehr.

Man könnte eine Stecknadel fallen hören, als Corinne Rey, besser bekannt unter ihrem Zeichner-Pseudonym „Coco“, unter Tränen erzählt, wie sie an diesem 7. Januar 2015 von den beiden vermummten Islamisten mit vorgehaltenem Sturmgewehr dazu gezwungen wurde, den Einlasscode für die Redaktionsräume einzugeben und damit den Mördern die Tür zu öffnen. Die Frau hatte die Redaktionskonferenz frühzeitig verlassen, um ihre kleine Tochter vom Kindergarten abzuholen. In Schockstarre muss sie miterleben, wie allein in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo und auf der Straße davor insgesamt zwölf Personen erschossen werden. In den beiden Tagen danach erschießt ein Komplize der Terroristen in Paris eine Polizistin, überfällt einen jüdischen Supermarkt und ermordet dort vier Personen – bis die Polizei die Terroristen endlich töten kann.

Die Mörder kommen in dem Film allerdings so gut wie gar nicht vor. Entgegen der üblichen Herangehensweise, Herkunft und Motiv der Täter zu beleuchten, konzentrieren sich Vater und Sohn Leconte ausschließlich auf die Opfer. Die Ermordeten wie die Überlebenden kommen ausführlich zu Wort, der Film macht kein Hehl aus seiner Sympathie und Solidarität mit ihnen. Über die Mörder fällt nur beiläufig der Satz: „Ohne ihre Waffen waren sie nichts.“ Daniel Leconte in der anschließenden Diskussion: „Wir zeigen die Terroristen im Film bewusst nicht. Sie sind irrelevant.“

Vier Millionen Franzosen machen sich die Parole „Je suis Charlie“ zu eigen. Die Überlebenden der Redaktion sind perplex und überwältigt, auch von der Sorge des Staats. Als politischer Karikaturist und Satiriker ist man eher darauf gefasst, Ärger mit dem Staatsanwalt zu kriegen. „Nun hat der Staat Angst um uns!“ Selbst die Kirche solidarisiert sich teils mit den Attackierten – was freilich sogleich die Spottlust von Charlie Hebdo weckt: „Notre Dame darf die Glocken für uns läuten lassen, solange es Femen-Aktivistinnen sind, die sich in die Seile hängen!“

Die unvermeidliche Frage: Was alles darf Satire?

Vural Ünlü, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Bayern und Medienspezialist, bekennt sich unmissverständlich zum gezeigten Film: „Wir brauchen einen wehrhaften Islam!“ Und es ist keine Frage, wie er das meint: einen Islam, der den Islamismus bekämpft. „Journalisten und Satiriker sollen keine Diplomaten sein“, stellt er klar, „auch wenn ihnen manchmal ein bisschen mehr Empathie nicht schaden würde.“ Doch speziell was den am 7.1.2015 ermordeten Charlie-Hebdo-Chefredakteur Stéphane Charbonnier („Charb“) angeht, der das Hauptziel der Terroristen war, gibt es für Ünlü keinen Zweifel: „Es war nicht die Intention von Charb, zu provozieren und zu spalten.“

Jeder, der Charbs „Brief an die Heuchler“ gelesen hat, kann das nur bestätigen. In der knapp hundertseitigen Streitschrift, die der Zeichner zwei Tage vor seiner Ermordung beendete, wird die jahrelange Vorgeschichte der islamistischen Angriffe auf Charlie Hebdo hellsichtig und sarkastisch analysiert. Darin wird auch der deutsche Strafrechtsparagraf 166 zitiert, der Charb schon einmal in Straßburg vor Gericht brachte, da Elsass-Lothringen den Blasphemie-Paragrafen als lokales Sonderrecht beibehalten hat. Charb fassungslos: „Wie ist so etwas in einer laizistischen Republik möglich?“ Nach einer Verschärfung eben dieses Paragrafen riefen im September 2012 Horst Seehofer und die CSU. Einer der Anlässe damals: Charlie Hebdo war wieder einmal der Beleidigung religiöser Gefühle bezichtigt worden.

Die unvermeidliche Frage, ob Satire alles dürfe, beantwortete Emmanuel Leconte kurz und bündig: „Die Grenze ist das Gesetz.“ Torsten Gaitzsch, Redakteur der Frankfurter Satirezeitschrift Titanic ergänzte trocken: „Die Grenze der Satire ist oft eine finanzielle.“ Als meistverklagtes Magazin Deutschlands wisse man bei der Titanic, dass die Frage laute: „Was kostet der Spaß?“Nicht selten stehe man vor der Entscheidung, ob man die nächste Instanz noch riskieren solle. Nichtsdestotrotz versprach Gaitzsch für die Titanic: „Wir werden auch weiterhin versuchen, die Grenzen auszuloten!“
(Florian Sendtner)

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