Landtag

In Bayern gibt es 195 Fälle von Kirchenasyl – die meisten davon in Mittelfranken. (Foto: dpa)

06.10.2017

Geldbußen für Nächstenliebe

Bayerische Staatsanwaltschaften ermitteln immer häufiger gegen Pfarrer, weil sie Flüchtlingen Kirchenasyl gewähren

Im Frühjahr läuteten die Kirchenglocken in Haßfurt nur für Doris Otminghaus. Es war eine Solidaritätsbekundung, nachdem die Staatsanwaltschaft Bamberg wegen möglicher „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt in Deutschland“ gegen die evangelische Pfarrerin ermittelte. Grund: Sie hat vier afghanischen Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt, um sie vor der Abschiebung in das unsichere Land zu schützen. Das Kirchenasyl wird laut Ökumenischer Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche immer dann angewandt, wenn es Zweifel an einer gefahrlosen Rückkehr ins Heimatland gibt.

Die bayerische Justiz hat ihre Gangart gegenüber Pfarrern, Kirchenvorständen und Diakonen letztes Jahr massiv verschärft. Bei der erstmaligen Gewährung von Kirchenasyl soll es eine Anhörung durch die Polizei geben. Im Wiederholungsfall soll das Verfahren nur noch gegen Geldauflage eingestellt werden. Wer sich erneut strafbar macht, muss mit weiteren Geld- und sogar Gefängnisstrafen rechnen. Landtagsabgeordnete Eva Gottstein (FW) wollte jetzt von der Staatsregierung wissen, wie viele Verfahren es bereits gegeben hat.

Das Innenministerium antwortete, es gebe in Bayern 195 Fälle von Kirchenasylen mit 227 Personen – die meisten davon in Mittelfranken (59 Personen), Oberpfalz (42 Personen) sowie Oberbayern und Oberfranken (je 39 Personen). Die Zahlen stammen von den örtlichen Ausländerbehörden, denen die Kirchengemeinden jedes Kirchenasyl melden. Evangelische Gemeinden gewähren häufiger Asyl als katholische.

Die Menschen stammen überwiegend aus Afghanistan, Äthiopien, Syrien, Irak, Iran und Eritrea. In den meisten Fällen handelt es sich um Asylbewerber, für die laut Dublin-Verordnung ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union zuständig ist. Wenn sie nicht nicht innerhalb der Frist von 18 Monaten abgeschoben werden, geht die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Deutschland über (siehe Infokasten). „In diesen Fällen wird nach Ablauf dieser Frist das Kirchenasyl regelmäßig beendet“, erklärt das Ministerium.

Wer sich zweimal strafbar macht, muss mit Gefängnisstrafen rechnen

Wie viele Verfahren zum Thema Kirchenasyl von der Staatsanwaltschaft eingeleitet wurden, kann das Ressort von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nicht sagen. Strafverfahren sind bisher in Deutschland nur in Bayern bekannt geworden. „Wenn der Verdacht einer Straftat besteht, sind die Staatsanwaltschaften verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen“, heißt es in der Antwort. Dabei würde aber „den besonderen Umständen, die das Kirchenasyl prägen“, Rechnung getragen. „Sie gehen mit Augenmaß vor und machen dabei in geeigneten Fällen auch von der Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit Gebrauch.“

Die Evangelische Kirche in Bayern berichtet, dass inzwischen selbst bei abgeschlossenen Kirchenasylen von vor vielen Jahren ermittelt wird. Dabei hatte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erst Mitte August noch versöhnliche Töne angeschlagen: Die Zahl der Flüchtlinge im Kirchenasyl sei nicht so hoch, dass „radikale Schritte“ gerechtfertigt wären.

Jetzt heißt es in der Antwort des Innenministeriums, die Praxis sei rechtsstaatlich nur vertretbar, „wenn die Kirchen vom Kirchenasyl mit großer Zurückhaltung Gebrauch machen“. Ziel müsse immer eine Lösung im Rahmen des geltenden Rechts sein. Das Problem: Das Kirchenasyl findet in der Rechtsordnung keine Anerkennung, ist also nie geltendes Recht. Entsprechend werden mitunter auch Flüchtlinge aus dem Kirchenasyl geholt und abgeschoben.

Stephan Reichel, Ex-Beauftragter der evangelischen Landeskirche für Kirchenasyl, hat diese Woche in Nürnberg den Verein Matteo gegründet, um Flüchtlingshelfer aus der evangelischen und katholischen Kirche besser zu vernetzen. Er kennt sich mit dem Thema aus: Gegen ihn liefen drei Ermittlungsverfahren wegen Kirchenasyls. (David Lohmann)

INFO: Kirchenasyl
Geschichte: Schon in der vorchristlichen Antike gewährten Menschen an sakralen Orten Zuflucht. Die in Europa mit der Christianisierung entstandene kirchliche Immunität sollte Straftäter vor Lynchjustiz schützen. Das erste Kirchenasyl für Flüchtlinge gab es 1983.

Fälle: Laut Ökumenischer Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG Asyl) gibt es bundesweit aktuell 362 Kirchenasyle mit mindestens 558 Personen – darunter rund 130 Kinder. 311 der Kirchenasyle sind sogenannte Dublin-Fälle.

Rückschiebungen: Da Flüchtlinge in Deutschland fast immer durch ein anderes europäisches Land gereist sind,gilt für sie die Dublin II-Verordnung. Sie sieht innerhalb Europas eine Rückschiebung in den zuerst betretenen EU-Mitgliedsstaat vor.

Fristen: Nach sechs Monaten geht die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Deutschland über. Da Kirchenasyl allerdings als „Untertauchen“ gewertet wird, erhöht sich die Frist in diesem Fall auf achtzehn Monate – obwohl den Behörden der Aufenthaltsort bekannt ist.

Ankündigung: Wenn eine Gemeinde den Entschluss gefasst hat, Kirchenasyl zu gewähren, wird dies den zuständigen Behörden mitgeteilt. Die Postanschrift der Gemeinde wird als ladungsfähige Adresse der geschützten Person angegeben.

Zielerreichung: Laut BAG Asyl sind 80 Prozent der Kirchenasyle erfolgreich. Das heißt, der Flüchtling wurde nicht abgeschoben und hat mindestens eine Duldung erhalten. Vor zehn Jahren waren noch 88 Prozent der Kirchenasyle erfolgreich. (loh)

Kommentare (1)

  1. otto regensbacher am 08.10.2017
    Es gibt rechtlich kein Kirchenasyl, auch wenn sich die christlichen Kirchen vielfach nicht danach richten.
    Wenn unsere Staatsorgane entscheiden, dass Migranten abzuschieben sind und die Kirchen dies hintertreiben, dann werden die "betroffenen kirchlichen Würdenträger" von Strafen nicht verschont bleiben.
    Kirchen haben im strafrechtlichen Sinne keine Sonderrechte!
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