Landtag

Gerade in größeren Städten tagen Gremien häufig während der Arbeitszeit. (Foto: Bilderbox)

06.03.2015

Gemeinderäte im Zeitstress zwischen Job und Mandat

Kommunalausschuss: Expertenanhörung zu Freistellungsansprüchen ehrenamtlicher Kommunalpolitiker

Bei Kommunen mit mehr als 100 000 Einwohnern ist die Tätigkeit eines Stadtrats eigentlich schon eher Zweitjob denn ein Ehrenamt – und verschlingt demzufolge jede Menge Zeit. „Der notwendige Zeitaufwand für die Sitzungen des Rats und der Fraktionen liegt bei durchschnittlich 24 Stunden pro Woche“, schreibt Marion Reiser, Politikprofessorin an der Universität Lüneburg, in ihrer Stellungnahme an den bayerischen Landtag. „Dabei entfallen knapp 13 Stunden auf Sitzungstätigkeiten, knapp sieben Stunden auf die Vorbereitung sowie fünf Stunden auf Repräsentationsaufgaben.“ Fraktionsvorsitzende hätten einen noch höheren Aufwand, so die Wissenschaftlerin. Die Mitglieder des Kommunal- und Innenausschusses wollten von ihr und anderen Experten wissen, welche „Voraussetzungen und Auswirkungen eines möglichen Freistellungsanspruchs von Kommunalpolitikern“ es gibt.

Im Klartext bedeutet das: Sollen Angestellte, also sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die ein Mandat im Gemeinderat, Stadtrat oder Kreistag wahrnehmen, für diese Tätigkeit künftig von ihrem Arbeitgeber ganz offiziell bei vollem Lohnausgleich freigestellt werden – wie beispielsweise die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr –, oder sollen sie weiterhin schauen, dass sich die lokalpolitischen Verpflichtungen in persönlichen Absprachen mit dem Chef regeln lassen?

Man tut den übrigen 14 Experten nicht Unrecht, wenn man feststellt, dass die junge Hochschullehrerin aus Niedersachsen das einzige neutrale Statement abgab, welches das Für und Wider einer möglichen gesetzlichen Regelung klar abwog. Alle anderen Wortmeldungen waren mehr oder weniger auf eine ablehnende oder zustimmende Haltung zum Sachverhalt festgelegt.

Die Chefs der kommunalpolitischen Vereinigungen der im Landtag vertretenen Parteien sind in der Frage geteilter Meinung. Die CSU etwa ist klar gegen einen Freistellungsanspruch. „Mir ist derzeit nur ein einziger Fall in ganz Bayern bekannt, wo es bei einem Kommunalpolitiker Probleme gibt“, sagte Jörg Kunstmann, der Landesgeschäftsführer der kommunalpolitischen Vereinigung der CSU. „Wir sprechen immer wieder von Bürokratieabbau – und dann wollen wir hier wieder eine neue komplexe Regelung schaffen, bei der es jede Menge Ausnahmetatbestände geben wird“, kritisierte Kunstmann. „Ein solcher Anspruch schafft doch nur Neidkonstellationen unter den Kollegen im Betrieb.“

Das sah Svenja Bille, die Geschäftsführerin der sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik, ganz anders. „Wir bekamen im Vorfeld der letzten Kommunalwahl viele Anfragen von potentiellen Bewerbern um ein Mandat, ob eine Kandidatur überhaupt sinnvoll ist im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit oder ob man damit nicht eher seiner Karriere schadet.“ Die Leuten hätten Angst vor Nachteilen und würden deshalb eher zögern. Deshalb plädiere sie klar für eine entsprechende Regelung, so Bille. „Damit gewinnen wir vor allem junge Leute. Es kann doch nicht sein, dass in einem Stadtrat nur noch Pensionäre, Beamte und Selbstständige sitzen“, so die Landesgeschäftsführerin. Schließlich solle ein Lokalparlament ein Spiegelbild der gesamten Stadtbevölkerung sein.

Ins gleiche Horn blies Peter Gack, der Leiter des Kommunalbüros Gribs – Grüne & Alternative in den Räten Bayerns. „Unsere Befragung hat klar ergeben, dass sich viele Interessenten von der derzeitigen Regelung abschrecken lassen.“ Obendrein, so Gack, kämen neben der unmittelbaren Mandatstätigkeit noch aufwendigen, aber notwendige Weiterbildungsveranstaltungen hinzu – etwa im immer komplexeren Baurecht, über das ein Stadtrat aber nun mal Bescheid wissen müsse. „Und diese Schulungen finden häufig unter der Woche statt und dauern auch gern mal zwei Tage.“

Die christsoziale Position fand vor allem Unterstützung aus dem Arbeitgeberlager. Übereinstimmend erklärten Ulrike Augustin von der Industrie- und Handelskammer, Frank Rahmsdorf von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft und Marcus Halder von der Handwerkskammer für München und Oberbayern, dass man kommunalpolitisches Engagement der Beschäftigten generell unterstütze und es bisher auch noch keine Auseinandersetzungen zwischen Chefs und Beschäftigten gegeben habe. Das sei alles einvernehmlich klärbar, ein gesetzlicher Freistellungsanspruch dagegen bedeute unnötige Bürokratie – gerade für kleine Betriebe. SPD und Grüne wurden dagegen unterstützt von der Ver.di-Vertreterin Brigitte Zach: „Die Belastung in der Arbeitswelt hat sich geändert, darauf muss man reagieren.“

Kommunale Spitzenverbände einig

Überraschend war die Position der kommunalen Spitzenverbände – sollte man doch denken, dass sie alle Erleichterungen der Arbeit von Kommunalpolitikern begrüßen und fördern würden. Doch übereinstimmend teilten Gemeindetag, Städtetag, Landkreistag und Bezirketag mit, dass man „keinen Regelungsbedarf“ sehe, „insbesondere liegen uns keine Problemanzeigen aus der kommunalen Praxis vor“. Man habe sich diesbezüglich ja auch schon früher so geäußert.

Das erregte den Widerspruch von Paul Wengert (SPD). Er warf den Spitzenverbänden vor, zu „bürgermeisterlastig“ zu sein und nur die Interessen der hauptamtlichen Rathauschefs, nicht aber jene der ehrenamtlichen Gemeinderäte zu vertreten. (André Paul)

Kommentare (1)

  1. Birgit am 10.03.2015
    Die Diskussion finde ich als ehrenamtliche Stadträtin unter der Aussage unserer Rechtsaufsicht "Es gibt in den Kommunalgesetzen keine strafbewehrte Bestimmung, dass der Bürgermeister stets „die Wahrheit“ sagen muss." für entbehrlich. Diese Haltung hat die Regierung von Oberfranken bestätigt.
    Wozu soll sich man/frau in der Kommunalpolitik ehrenamtlich engagieren, wenn man/frau sich stets fragen muss, ob die Wahrheit gesagt wird. Jedenfalls führen solche Aussagen zu einem Rückgang des viel gelobten und zitierten ehrenamtlichen Engagements in der Kommunalpolitik. Echte Mitgestaltung und Mitbestimmung bzw. Selbstverwaltung sieht anders aus - vielerorts gibt es doch nur noch ein kommentarloses Abnicken, damit man/frau nicht als Querulant von der Presse und den Kollegen bezeichnet wird - dies umso mehr wenn zu Beginn einer Amtsperiode die alten Stadträte mit dem Zitat "Willst du glücklich und zufrieden leben, darfst du kein (auch kein freigestelltes) Ehrenamt annehmen" verabschiedet werden und die neuen wie folgt begrüßt werden: "Jetzt erhält man/frau ein Sitzungsgeld, das ist ausschließlich fürs Sitzen gedacht und nicht fürs Reden".
    Aus meiner Sicht sollte dann eher eine grundsätzliche Debatte darüber geführt werden, ob unser aktuelles System überhaupt noch zeitgemäß ist. Ehrenamtliche (auch freigestellte) Stadtratsmitglieder können einen hauptamtlichen Bürgermeister nicht kontrollieren und sind darauf angewiesen, dass Ihnen in den Sitzungen die ganze Wahrheit erzählt wird, ansonsten sollte der Landtag vielleicht eine Reform überlegen, welche nach meiner Meinung seit der Gebietsreform überfällig ist.
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