Landtag

Von links: Moderatorin Bärbel Wossagk, Handwerkskammervizechef Dieter Vierlbeck, Regierungspräsident Karl Michael Scheufele, die Flüchtlingshelferin Andrea Gummert, Klaus Meisel, Vorsitzender des Volkshochschulverbands, Bernhard Rieger vom Integrationsrat sowie Moderator Achim Bogdahn. (Foto: loh)

01.12.2017

„Integration ist keine Wellness-Oase“

Veranstaltungsreihe „der Landtag im Gespräch mit ...“: Ehrenamtliche aus der Flüchtlingshilfe diskutieren mit Behördenmitarbeitern und Politikern

Flüchtlingshelfer haben das Wort: Diese Woche diskutierten sie im Landtag –unter anderem mit dem Regierungspräsidenten von Schwaben, Karl Michael Scheufele, und dem Vizechef der Handwerkskammer für München und Oberbayern, Dieter Vierlbeck, über die Situation in Bayern. In Zukunft wollen Helfer und Behörden häufiger das Gespräch suchen. Selten gingen im Maximilianeum die Meinungen zwischen Rednern und Zuhörern so weit auseinander wie an diesem Abend. Der Landtag hatte im Rahmen der Veranstaltungsreihe Der Landtag im Gespräch mit ... Ehrenamtliche aus der Flüchtlingshilfe eingeladen. Sie sollten Antworten auf die Frage geben: Wo stehen wir? Was hat sich bewährt? Was ist zu tun? So viele waren gekommen, dass der Platz im Senatssaal nicht ausreichte und die Veranstaltung per Livestream zusätzlich in den Akademiesaal übertragen werden musste. Zu Beginn stellte Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) ihre Sicht des Status Quo vor. Sie konnte noch ohne Protest sprechen – doch mit der Zurückhaltung bei den Zuhörern war es bald vorbei.

Stamm sieht die Integration in Bayern auf einem guten Weg. Natürlich sei nicht immer alles zur Zufriedenheit verlaufen, so Stamm. Weshalb der Landtag heute zuhören wolle. „Sie sagen uns, was Sie empfinden und was sie gern anders hätten“, sagte die Landtagspräsidentin. Viel Applaus bekam sie für den Vorschlag, die Fortbildungsveranstaltungen für Flüchtlingshelfer auszubauen und unnötige Bürokratie aus dem Weg zu räumen. Allerdings gelingt laut Stamm im Bereich der Integration in Bayern schon seit Langem sehr viel. Besonders lobte sie die Verwaltungen. Doch da verdunkelten sich bei den Zuschauern die Mienen. „Die, die das Angebot zur Integration bekommen, müssen es auch annehmen“, setzte Stamm unbeirrt fort. Gleichzeitig hätten auch viele Menschen Ängste, die man nicht ignorieren dürfe.

Wer die Menschen sind, die nach Bayern geflüchtet sind, erklärte Sonja Haug von der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg. Sie hat in einer Studie 780 Asylbewerber befragt. Bei der Bildung gibt es laut der Professorin große Unterschiede. Die Menschen aus Syrien seien alle hoch gebildet – der Anteil der Akademiker sei sogar höher als in Deutschland. Gleichzeitig kämen aus Afghanistan und Eritrea viele wenig gebildete Menschen, teilweise sogar Analphabeten. Entsprechend ist die Bleibeabsicht unter Syrern geringer als unter den Flüchtlingen anderer Länder. Die Ziele der Menschen: Deutsch lernen, Arbeit und eine Wohnung finden. Die größten Probleme: Preisgünstiges Wohnen und die Arbeitsmarktintegration.

Die Akademikerquote unter syrischen Flüchtlingen ist höher als die in der deutschen Bevölkerung

Den schwersten Stand beim Publikum an diesem Abend hatte Karl Michael Scheufele, Regierungspräsident von Schwaben. „Auf bürokratische Strukturen können wir nicht verzichten“, sagte er. Wer aus einem Land mit guter Bleibeperspektive stamme, könne im Rahmen der sogenannten 3+2-Regelung dennoch problemlos einen Ausbildungsplatz bekommen. „Die Rechtslage ist überall in Deutschland gleich.“ Jetzt gab es im Saal wütende Proteste der Flüchtlingshelfer, von Behördenwillkür in Bayern war die Rede. Schäufeles Bemerkung, wer keinen Ausbildungsplatz bekommen habe, habe vorher oft die Identitätsfeststellung verweigert, trug nicht zur Beruhigung bei.

„Viel liegt im Ermessensspielraum der Ausländerbehörde“, bestätigte Bernhard Rieger vom Bayerischen Integrationsrat. Den Ermessensspielraum müssten die Behörden zwar behalten, schließlich arbeite er selbst in einem Landratsamt. „Aber ich kenne Mitarbeiter, die Angst vor Ärger haben, wenn sie eine Ausbildungsgenehmigung erteilen“, sagt Rieger. Es könne nicht angehen, dass in einem Landkreis Arbeitserlaubnisse erteilt würden, im Nachbarlandkreis jedoch nicht. „So ist das aber überall in Bayern, das ist unverständlich.“

Unterstützung bekam Scheufele von Dieter Vierlbeck, Vizechef der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Er wisse, dass er dafür keinen Beifall bekommen werde. „Aber uns liegt kein Fall vor, wo bei der 3+2 Regelung gegen die Rechtslage verstoßen wurde.“ Jetzt standen einzelne Zuhörer auf und schilderten dem Redner ihre Erlebnisse. Allerdings hatte die Handwerkskammer auch Beruhigungspillen dabei: Der Anteil der Auszubildenden aus den Hauptfluchtländern habe dieses Jahr bei 6,4 Prozent gelegen, insgesamt 2579 Flüchtlinge hätten bisher ein Ausbildungsverhältnis. „Und die Abbrecherquote ist nicht höher als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.“

Klaus Meisel, Vorsitzender des bayerischen Volkshochschulverbands, betonte, dass auch die Abbruchsquote bei den Deutschkursen nicht höher liege als die von Bachelorstudierenden. 182 000 Menschen lernten aktuell Deutsch, 12 000 seien in Alphabetisierungskursen. „Nicht alphabetisiert zu sein, heißt übrigens nicht, nicht gebildet zu sein“, unterstrich er. Viele Flüchtlingshelfer seien alleingelassen worden. „Integration ist keine Wellness-Oase“, sagte Meisel. Deswegen nehme er es keinem übel, wenn er sich aus der Hilfe zurückgezogen habe.

„Wir sind als Flüchtlingshelfer und nichts als Rechtsberater angetreten“, klagte die Ehrenamtskoordinatorin Andrea Gummert aus Fürstenfeldbruck. Doch statt um die praktische Integration müsse sie sich mit Versicherungsfragen und Verwaltungsvorschriften auseinandersetzen. „Ich muss jeden Tag Behördenschreiben entziffern, wo selbst mir als Deutsche die Haare zu Berge stehen“, kritisiert Gummert. Sie appellierte an die Politik, die Flüchtlinge wieder mehr als Menschen zu sehen und an die Behörden, das Gespräch mit den Flüchtlingshelfern zu suchen. „Gemeinsam können wir herausfinden, wo es eine Abkürzung oder eine Umleitung gibt, um uns nicht an jede Vorschrift halten zu müssen.“ (David Lohmann)

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