Landtag

Mehr als ein Viertel der eingereichten Petitionen endet für die Bürger mit einem positiven Entscheid. (Foto: DAPD)

18.02.2011

Lebendige Demokratie mit Lähmungserscheinungen

Die Zahl der Bürger-Eingaben bei den Volksvertretern ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr

Als es 1998 in der SPD-Fraktion um die Besetzung der freien Plätze im Petitionsausschuss des Landtags ging, wollte sich der seinerzeitige Parlamentsneuling Joachim Werner einfach wegducken. Er habe sich nicht um einen Sitz gerissen, gestand der heutige Vorsitzende des Gremiums bei der Vorlage des Petitionsberichts zur Halbzeit der Legislaturperiode ein. Inzwischen aber brächten ihn „keine zehn Pferde mehr“ aus dem Ausschuss.


6154 Petitionen seit der Landtagswahl 2008


Und würde jemand versuchen, ihn aus dem Gremium zu werfen, er ginge bis vor das Bundesverfassungsgericht, um das zu verhindern, sagte Werner. Oder er würde – ganz klar – eine Petition schreiben. Weil Werner als parlamentarischer Bürgeranwalt inzwischen seine Bestimmung gefunden hat, schmerzt es ihn, dass Bayerns Bürger etwas petitionsmüde geworden sind.
Seit der Landtagswahl 2008 haben die Volksvertretung nur noch 6154 Eingaben erreicht. Das ist der niedrigste Wert für die erste Hälfte einer Legislaturperiode seit mehreren Jahrzehnten.
Gründe dafür konnte Werner nicht nennen. Er sprach von einem „Trend, der uns mit Sorge erfüllen sollte“. Werner rief seine Abgeordnetenkollegen auf, „bei jeder sich bietenden Gelegenheit“ für das Petitionsrecht zu werben. „Das Petitionsrecht muss raus aus der Nische, es muss wahrnehmbarer werden“, forderte er.
Um das zu erreichen, möchte der SPD-Politiker auch im Landtag die „öffentliche Petition“ möglich machen. Im Bundestag gibt es dieses Instrument schon, und die Bürger machen rege Gebrauch davon. Werner will deshalb künftig geeignete Petitionen vor ihrer Beratung im Landtag für sechs Wochen ins Internet stellen, damit jeder Interessierte über das Anliegen mitdebattieren und sich – falls gewünscht – dem Begehren auch anschließen kann. Das Petitionsrecht würde so zu einer „modernen Form des Bürgergutachtens“ weiterentwickelt.
„Das ist lebendige Demokratie“, so Werner. Er kündigte für die SPD-Fraktion an, dazu in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen. Redner der übrigen Fraktionen bekundeten ihr grundsätzliches Interesse an dem Vorstoß.
In seiner Bilanz hob Werner die guten Erfolgsaussichten für Petitionen hervor. Von den gut 5100 bis heute behandelten Petitionen dieser Legislaturperiode ist nach seinen Angaben mehr als ein Viertel für die Bürger positiv ausgegangen. In den meisten Fällen hätten die betroffenen Behörden die Petition zum Anlass genommen, Entscheidungen im Sinne der Bürger zu korrigieren oder einvernehmliche Lösungen zu finden.
Weitere knapp 10 Prozent hätten sich durch Beschlüsse des Landtags im Sinne der Petenten erledigt, knapp 15 Prozent seien mit einer Würdigung versehen oder als „Material“ für die Novellierung von Gesetzen und Verordnungen an die Staatsregierung überwiesen worden.
Mit 41 Fällen als „viel zu gering“ kritisierte Werner die Zahl der Berücksichtigungsbeschlüsse, mit denen der Ausschuss die Verwaltung zur Korrektur von Entscheidungen aufgefordert habe. Er appellierte an die Regierungsfraktionen, noch mehr „Mut und Durchsetzungskraft“ für Bürgeranliegen zu zeigen. „Es gibt keinen Grund, einen Berücksichtigungsbeschluss zu fürchten wie der Teufel das Weihwasser“, sagte Werner.
In rund der Hälfte der Fälle habe der Ausschuss den Bürgern nicht helfen können, vor allem dann nicht, wenn das Begehren objektiv unberechtigt gewesen sei oder bestehende Gesetze keinen Spielraum für andere Entscheidungen gegeben hätten, so Werner. Dennoch spiele der Petitionsausschuss eine „wichtige Mittlerrolle zwischen Bürger und Staat“, Petitionen seien oft ein „Ventil, aus dem viel Dampf entweichen kann“.


„Wichtiges Korrektiv“


Allein schon durch Beschäftigung mit ihren Anliegen und den Erläuterungen zu manchmal unverständlichen Verwaltungsbeschlüssen fühlten sich die Bürger beim Ausschuss gut aufgehoben und ernst genommen. Über die Eingaben erlebten die Abgeordneten zudem „hautnah die Auswirkungen unserer Politik auf die Bürger“ und könnten so Entscheidungen auf ihre Praxistauglichkeit überprüfen. Sylvia Stierstorfer (CSU) bezeichnete das Petitionsrecht als „Seismographen für das Funktionieren unserer Gesetze“. Es sei ein „wichtiger Impulsgeber für die Arbeit an den großen Stellschrauben der Landespolitik“.
Nach Einschätzung von Florian Streibl (Freie Wähler) ist der Petitionsausschuss „Auge und Ohr des Landtags“. Über die Petitionen könnten die Abgeordneten ihre vornehmste Aufgabe wahrnehmen, nämlich Kontrolle ausüben, überprüfen und helfen.
Auf eine konsequentere Durchsetzung von Berücksichtigungsbeschlüssen drängte Maria Scharfenberg (Grüne). Die Regierungsfraktionen müssten sich häufiger „auf die Hinterbeine stellen“, wenn die Verwaltung entsprechende Beschlüsse des Ausschusses nicht vollziehe. Julika Sandt (FDP) erklärte, der Petitionsausschuss sei ein „wichtiges Korrektiv staatlichen Handelns“.(Jürgen Umlauft)

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