Landtag

12.04.2018

"Maßvolle Novelle" versus "Totalüberwachung"

Kontroverse Debatte um die Reform des Polizeiaufgabengesetzes

Gegen die Stimmen der Opposition hat der Innenausschuss die von der Staatsregierung eingebrachte Reform des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) gebilligt. Der CSU-Abgeordnete Manfred Ländner sprach von der „umfangreichsten Novelle der Polizeigesetzgebung in der vergangenen Jahrzehnten“. Der Polizei würden damit die nötigen Werkzeuge an die Hand gegeben, um technisch wie einsatztaktisch auf neue terroristische und kriminelle Herausforderungen zu reagieren. Anders als die Opposition sah Ländner „keine Anhaltspunkte in dem Entwurf, der den Menschen Angst machen könnte oder einen Polizeistaat heraufbeschwören könnte“. Im ständigen Ringen zwischen Freiheit und Sicherheit sei ein „guter und moderner Weg“ gefunden worden.

Dem widersprach der SPD-Rechtsexperte Franz Schindler. Zwar bezweifle niemand, dass die Polizei gut ausgerüstet sein müsse, das neue PAG aber „überspannt den Bogen“. Für die zum Teil massiven Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger fänden sich im Gesetz keine ausreichenden Rechtsfertigungen. Zu bedenken sei vor allem, dass die polizeiliche Eingriffsschwelle nicht nur zur Terrorabwehr oder zum Schutz vor schweren Gewaltdelikten abgesenkt werde, sondern ganz allgemein zum Schutz bedeutender Rechtsgüter. Schindler rügte zudem, dass die Polizei nun bereits bei einer „drohenden Gefahr“ verdeckt ermitteln dürfe. „Das verschiebt die bewährte klassische Sicherheitsarchitektur in Bayern“, warnte Schindler. In ihrer Summe seien die neuen Befugnisse nicht gerechtfertigt.

Auch Eva Gottstein (Freie Wähler) bezweifelte die Notwendigkeit dieser umfassenden Strukturreform. Ihre Fraktion könnte mit den neuen Befugnissen leben, wären diese ausschließlich auf die Abwehr terroristischer Gefahren begrenzt. Stattdessen würden diese nicht nur auf das „polizeiliche Alltagsgeschäft“ ausgedehnt, sondern auch noch ins Vorfeld möglicher Straftaten verlagert. Das könne sie nicht mittragen. „Hier werden Bürger unter Generalverdacht genommen“, sagte Gottstein. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze erklärte, mit diesem „Überwachungsgesetz“ schneide die CSU „eine große Scheibe unserer Freiheit ab“, ohne die Sicherheit zu verbessern. Durch die neuen Präventiv-Befugnisse werde die Polizei zu einem „zweiten Nachrichtendienst“, es drohe die „Totalüberwachung“ der Bürger, sagte Schulze. Statt neuer, verfassungswidriger Befugnisse brauche die Polizei mehr Personal.

Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer verteidigte das neue Gesetz. „Wir haben uns bei jeder Befugnis genaue Gedanken darüber gemacht, ob sie nötig ist“, sagte er. Schmidbauer widersprach dabei der Darstellung, es handle sich um eine Verlegung polizeilicher Eingriffsmöglichkeiten ins Gefahrenvorfeld. Die neue Kategorie der „drohenden Gefahr“ sei Ausfluss der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und präzisiere die Zulässigkeit präventiver Maßnahmen. Auch dürfe die Polizei dabei nicht willkürlich zugreifen, sondern müsse sich auf Tatsachen stützen. Es gebe bei der Polizei auch keine „geheimen Ermittlungen“, betonte Schmidbauer. Jeder verdeckte Einsatz müsse dem Betroffenen laut Gesetz im Nachhinein offenbart werden.

Zuvor hatte Innenminister Joachim Herrmann in einer aktuellen Stunde erklärt, die Freiheitsrechte der Bürger blieben mit dem neuen Gesetz gewahrt. Es gebe sogar mehr Datenschutz und Auskunftsrechte, zudem stünden künftig mehr polizeiliche Befugnisse unter dem Vorbehalt einer richterlichen Zustimmung. Anderes zu behaupten, sei „grober Unfug“, so Herrmann. Die der Polizei erlaubten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr würden „maßvoll erweitert“. Ungeachtet dessen erwägen SPD und Grüne bei unveränderter Verabschiedung des PAG durch den Landtag eine Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. (Jürgen Umlauft)

INFO: Die Neuerungen im Polizeiaufgabengesetz

Das geplante neue Polizeiaufgabengesetz besteht aus drei Teilen. Es passt die enthaltenen Regelungen an die Vorgaben der neuen EU-Datenschutzverordnung an, setzt die neueste Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von Bürgerrechten um und – das ist der politisch umstrittene Teil – weitet die Eingriffsbefugnisse der Polizei bei Anhaltspunkten einer „drohenden Gefahr“ für bedeutende Rechtsgüter ins Vorfeld möglicher Straftaten aus. Dazu zählen die Telefonüberwachung, das heimliche Mithören von Gesprächen außerhalb von Wohnungen, der Zugriff auf private Computer, Speichermedien und Clouds, die Postbeschlagnahme, die automatische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, eine DNA-Analyse zur Feststellung von Geschlecht, Haut- oder Augenfarbe sowie geografischer Herkunft zu Fahndungszwecken, der Einsatz verdeckter Ermittler und Aufklärungsdrohnen sowie die Datenerhebung von Kontaktpersonen. Für einige dieser Befugnisse wird eine richterliche Genehmigung benötigt. Im Gegenzug werden der Datenschutz verbessert und die Informationspflichten der Polizei gegenüber den Bürgern ausgeweitet. Auf Antrag der CSU werden die im Gesetzentwurf der Staatsregierung ausgeweiteten Schutzregelungen für Berufsgeheimnisträger wie Ärzte oder Anwälte wieder eingeschränkt. Außerdem will die CSU die Regelungen für den Einsatz von Bodycams bei Polizisten und – unter Richtervorbehalt – das Eindringen von Sicherheitskräften in Wohnungen erleichtern. (jum)

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