Landtag

Der „Kotzhügel“ auf der Münchner Theresienwiese ist oft die letzte Zufluchtsstätte für betrunkene Wiesn-Besucher. (Foto: dpa)

15.09.2017

Oans, zwoa, totgsuffa

Jedes Jahr gibt es in Bayern über 1700 Alkoholtote. Jugendliche trinken zwar wieder weniger – kiffen dafür mehr

Was wäre, wenn nicht Alkohol, sondern Cannabis die Volksdroge Nummer 1 wäre? Zweieinhalb Wochen würden sich auf dem Oktoberfest vom Jugendlichen bis zum Rentner Besucher über den Abend verteilt mehrere Gramm Gras bestellen, sich beim Anzünden des Joints in die Augen schauen und bekifft zu den neusten Wiesn-Hits tanzen. Was bei Cannabis unvorstellbar ist, ist bei Alkohol normal. Dabei sterben in Deutschland jährlich 74 000 Menschen an den Folgen von Alkoholmissbrauch.

Mehr als jeder zweite der 11- bis 17-Jährigen hat schon einmal Alkohol getrunken, 13 Prozent haben mindestens einmal im Monat einen Rausch, 4500 Kinder und Jugendliche müssen deswegen pro Jahr ins Krankenhaus eingeliefert werden. „In Bayern sind insgesamt rund 270 000 Menschen alkoholabhängig“, schreiben Katharina Schulze und Ulrich Leiner (beide Grüne) in ihrer Anfrage. Sie wollten von der Staatsregierung wissen, welche Konsequenzen der Alkoholkonsum in Bayern hat.

Das Innenministerium schreibt in seiner Antwort, 2015 habe es in Bayern 1736 Alkoholtote gegeben – sechs mehr als im Vorjahr. Davon waren 123 zwischen 25 und 44 Jahre alt und zwei sogar unter 25 Jahren. In rund zwei Dritteln der alkoholbedingten Sterbefälle waren Männer betroffen. Hinzu kommen laut Ministerium Sterbefälle, bei deren Entstehung Alkoholkonsum ein Begleitfaktor ist, beispielsweise bei bestimmten Krebserkrankungen. Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geht daher von rund 12 000 Todesfällen pro Jahr aus.

Nicht zu vergessen die Menschen, die unter Alkoholeinfluss am Steuer getötet wurden. Ihre Zahl stieg von 2015 auf 2016 um neun auf 58 Personen, die Zahl der verletzten Personen um 31 auf 2616. Und die Toten werden wohl nicht weniger. Laut epidemiologischem Suchtsurvey trinken in Bayern 17,4 Prozent der Erwachsenen Alkohol in gesundheitsgefährdendem Ausmaß – vor allem jüngere Menschen. Knapp 37 Prozent sind zwischen 18 und 24 Jahren, bei den 60- bis 64-Jährigen sind es lediglich knapp sechs Prozent. Auch hier sind vor allem Männer betroffen.

Alkoholmissbrauch führt zu Gewalt und hohen volkswirtschaftlichen Kosten

Alkoholmissbrauch hat nicht nur Auswirkungen auf die Trinker selbst. Die volkswirtschaftlichen Kosten infolge alkoholbezogener Krankheiten in Deutschland werden auf mehr als 26 Milliarden Euro beziffert. Dem gegenüber stehen Einnahmen des Staates aus alkoholbezogenen Steuern von nur 3,2 Milliarden Euro. Hinzu kommen soziale Folgen, etwa Gewalt unter Alkoholeinfluss. In einem Drittel aller Gewaltdelikte in Bayern war Alkohol im Spiel. Die Angriffe von Betrunkenen auf Polizei und Rettungsdienst haben im Vergleich zum Vorjahr an fast allen bayerischen Polizeipräsidien zugenommen. Insgesamt ist die Zahl der Tatverdächtigen, die betrunken Strafttaten begangen haben sollen, im Vergleich zum Vorjahr um 1800 auf 41 430 gestiegen. Manche der betrunkenen Beschuldigten waren bei der Tat noch keine 14 Jahre alt.

Ob lokale Alkoholverbote helfen können, die Kriminalitätsentwicklung zu senken, kann das Ressort von Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mangels Statistik nicht sagen. Immer mehr Gemeinden und Städte würden allerdings solche Verordnungen erlassen. „So können [...] Ordnungsstörungen und Straftaten, die unter Alkoholeinfluss begangen wurden, [...] effektiv reduziert werden“, heißt es in der Antwort.

Das Gesundheitsministerium lobt sich dafür, mit Präventionsprogrammen wie „Starker Wille statt Promille“ oder der Aktion „HaLT“ das Einstiegsalter für den ersten Alkoholkonsum weiter erhöht zu haben. Tatsächlich trinken Jugendliche weniger Alkohol. Dafür ist der Anteil derer, die in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert haben, laut Münchner Institut für Therapieforschung um vier auf 22 Prozent angestiegen. Kiffen statt trinken auf der Wiesn – vielleicht ist es doch keine Utopie.
(David Lohmann)

INFO: Alkoholkonsum
Alkohol hat in der bayerischen Kultur eine lange Geschichte: Es ist Genuss- und Suchtmittel zugleich. Einen Alkoholkonsum ganz ohne gesundheitliches Risiko gibt es nach Ansicht der Wissenschaft nicht.

Empfohlene Menge für Frauen: Sie sollten pro Tag nicht mehr als 12 Gramm reinen Alkohol trinken, das entspricht zirka 0,3 Liter Bier oder 0,15 Liter Wein beziehungsweise Sekt oder rund vier Zentiliter einer Spirituose wie Likör, Korn oder Wermut.

Empfohlene Menge für Männer: Sie sollten pro Tag nicht mehr als 24 Gramm reinen Alkohol trinken, das entspricht zirka 0,6 Liter Bier oder 0,3 Liter Wein beziehungsweise Sekt oder rund acht Zentiliter Schnaps.

Rat für Frauen und Männer: Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen empfiehlt, an mindestens zwei bis drei Tagen pro Woche ganz auf Alkohol zu verzichten.

Risiken: Langfristig besteht die Gefahr, abhängig zu werden. Bei übermäßigem Konsum kann Alkohol schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Leberkrankheiten und verschiedene Krebsarten verursachen.

Verzicht: Nüchtern sollten Menschen aus gesundheitlichen Gründen auf jeden Fall bleiben, wenn sie Medikamente nehmen.

Schwangerschaft: Trinkt eine werdende Mutter Alkohol, kann das die Zellentwicklung des Babys stören und Fehl- oder Frühgeburt verursachen.
Kinder und Jugendliche: Für sie kann Alkohol schwere Folgen für den sich entwickelnden Organismus haben, ab einem Blutalkoholwert von 0,5 Promille besteht die Gefahr, bewusstlos zu werden. (loh)

Kommentare (4)

  1. otto regensbacher am 27.09.2017
    Wir habe in Bayern mitunter recht seltsame "Kulturformen". Neben der "Biergartenkultur" mit lauter Musik und Gegröle bis nach 22 Uhr, haben wir noch die sogenannte "Wiesenkultur" mit Raufereien, Diebstählen und vielen "Alkoholleichen"....
  2. woewe am 20.09.2017
    "Schwangerschaft: Trinkt eine werdende Mutter Alkohol, kann das die Zellentwicklung des Babys stören." Das klingt wirklich harmlos, es werden allerdings jährlich ca. 10.000 Babys mit Symptomen des fetalen Alkoholsyndroms in Dschland geboren, 2000 davon mit dem Vollbild FAS, d.h. stark geschädigte Kinder, besonders mit geistigem Rückstand.
    Für die Zeit der Schwangerschaft muss deshalb Alkohol absolut tabu sein.
    Leider fehlt auf Alkoholika-Erzeugnissen immer noch ein verbindlicher Warnhinweis, AB InBev (Hasseröder zB) und einige andere Hersteller machen es freiwillig.
  3. woewe am 20.09.2017
    Tja, wenn man sich vor Augen führt, dass der Alkohol die mit großem Abstand VOR ALLEN ANDEREN Drogen schädlichste Droge ist, was die Schädigung Dritter, wie im Artikel benannt, durch Unfälle, Gewalt, ... betrifft, braucht sich nicht zu wundern, aber sie ist, wie Alexander schon benannt, unser aller Kulturdroge, Frau Mortler stammt von einem Hopfenhof, ihre CSU-Kollegin Melanie Huml ist sowohl Bierordensträgerin als auch bayr. Gesundheitsministerin in einem, Volker Kauder, CDU, träumt von seinen zwei...drei Weizenbier am Abend usw.
    Alkohol ist die gerade von unseren regierenden Politikern geschützte Droge. Ihr darf keine andere Droge den Platz streitig machen und so werden weiterhin Burschen, die sich anstatt dem Bier zuzusprechen getrauen auf dem Geretsrieder oder anderen Volksfesten einen Joint zu rauchen, von der Polizei gejagt. MMerkur vor 3 Jahren
  4. Alexander P. am 18.09.2017
    Bier hui, Marihuana pfui. Vor allem in Bayern. Das es mehr Alkoholleichen, Alkoholiker, Nikotinsüchtige etc. gibt (per Gesetz legitimiert!), als Leute die Marihuana rauchen, liegt ja wohl auf der Hand.
    Aber hach, bloss nicht das Bier verteufeln. Gehört ja zur Kultur Bayerns und dank Reinheitsgebot ist es ja unbedenklich.
    Alkohol bleibt Alkohol. Und lieber nen Joint aus der eigenen Kultur geraucht (ungedüngt und per Hand aufgezogen versteht sich, angereichert mit den unzähligen Vitaminen aus Brennesseljauche und Hornspänen!), als glyphosatverseuchtes, mit Nitratwasser gebrautes Industriebier zu trinken.

    Wenn man auf der Wiesn ein Graszelt einrichten würde, ich verwette meine Schiwegermutter darauf, das wäre das "gechillteste" Zelt überhaupt.

    Achtung, der Text ist überspitzt und bewusst böse formuliert und soll nicht zum Drogenmissbrauch verleiten bzw. alle Marihuanaraucher jetzt nicht zum Biertrinken und Zigarettenrauchen verleiten!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

BR Player
Bayerischer Landtag
Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.