Landtag

„Ich fühle mich so einsam und abgeschnitten von der Welt“: Viele psychisch kranke Menschen verzweifeln während ihrer Unterbringung. (Foto: dpa)

27.06.2014

Patientenschutz soll verbessert werden

Gesundheitsausschuss: Experten fordern die Einführung eines Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes, damit im Freistaat weniger Patienten zu Unrecht weggesperrt werden

Heinrich Berger erreichen als Vorstandsmitglied der bayerischen Gesellschaft für soziale Psychiatrie immer wieder bedrückende Hilferufe. „Ich will, dass alles aufhört, die Verzweiflung, die Stimmen in meinem Kopf, die Hoffnungslosigkeit. Ich fühle mich so einsam und abgeschnitten von der Welt“, zitiert der Psychologe bei einem Fachgespräch im Gesundheitsausschuss mit zehn Experten aus der E-Mail einer Klientin. Dies zeige, so Berger, wie wichtig die Anhörung zum Thema „Anforderung an ein bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (Psych-KHG)“ (siehe Info) sei.

Die Diskussion um ein solches Gesetz wird im Freistaat seit 15 Jahren geführt. 13 Bundesländer haben bereits ein PsychKHG eingeführt – Baden-Württemberg und Hessen stehen kurz davor. Durch die Verabschiedung erhoffen sich Experten mehr Verlässlichkeit bei der Verfügbarkeit von Hilfen und einer transparenten Bewilligungspraxis. Denn nicht erst seit dem Fall Gustl Mollath ist klar: Im Freistaat werden wesentlich häufiger psychisch kranke Menschen eingewiesen als in anderen Bundesländern. „Fast 62 000 Unterbringungsverfahren weist die amtliche Statistik für Bayern im Jahr 2011 auf“, erzählt der Vorsitzende des bayerischen Landesverbands der Angehörigen psychisch Kranker, Karl Heinz Möhrmann. Dies seien über 3000 mehr als im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen und mehr als doppelt so viele wie in Baden-Württemberg.

Der Münchner Sozialrechtsanwalt Rolf Marschner vermutet, dass es sich bei der Unterbringung statt um psychiatrische Krisenintervention vielmehr um eine polizeirechtliche Gefahrenabwehr handelt. „Solange wir ein Polizeigesetz haben, wird dies mit einem Makel verbunden sein“, schimpft er. Er fordert daher schnellstens ein modernes Gesetz, welches zum Beispiel bei einer Abholung durch die Polizei stets auch psychiatrische Fachkräfte vorsieht und Zwangsmaßnahmen wie Fixierung ausschließt. Dies gebiete nicht nur der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass eine Freiheitsentziehung nur als Ultima Ratio in Betracht komme, sondern auch die Vorgabe der UN-Behindertenrechtskonvention, nach der für jeden Betroffenen erreichbare Hilfen konstituiert werden müssen.

In Thüringen ist die Politik schon viel weiter. Da die psychiatrische Versorgung in der ehemaligen DDR stark vernachlässigt wurde, verabschiedete der Landtag bereits 1994 das ThürPsychKG. „Wir wollten damit eine Unterbringung für ein Leben in Würde und Selbstverantwortung sicherstellen“, erläutert Eva Maria Weppler-Rommelfanger vom thüringischen Sozialministerium. Mit dem Gesetz seien die Patientenrechte gestärkt, die Angehörigen besser eingebunden und die Finanzierung über den kommunalen Finanzausgleich gesichert worden. Das Modell habe sich auch nach Meinung der Amtsärzte bewährt.

Georg Walzel vom bayerischen Gesundheitsministerium sieht zwar ebenfalls einen Reformbedarf, verweist aber auf den „Expertenkreis Psychiatrie“. „Das ist eine Plattform für alle Akteure zum Austausch“, erklärt der Ministerialrat. „Diesen Verweis habe ich bereits befürchtet“, unterbricht ihn Celia Wenk-Wolff vom bayerischen Bezirketag. Der Expertenkreis sei zwar ehrenhaft, bringe aber wegen der vielen Verbandsinteressen nur wenig Verbindliches auf den Weg. „Ich appelliere daher an die Abgeordneten, eine politische Entscheidung zu treffen.“

„Dann haben wir jetzt zwei Möglichkeiten“, resümiert Ausschusschefin Kathrin Sonnenholzner (SPD). Entweder lege eine der Fraktionen oder das Gesundheitsministerium dem Ausschuss einen Gesetzesentwurf vor – Sonnenholzner favorisiert Letzteres. Einen Volksentscheid lehnt sie als nicht erfolgversprechend ab. Wenk-Wolff freut’s. Sie versichert: „Mit dem PsychKHG tun Sie etwas für die Menschenwürde.“ (David Lohmann) INFO Inhalte für ein mögliches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz

Die Freie Wohlfahrtspflege Bayern (FW Bayern) hat die aus ihrer Sicht wesentlichen Aspekte und Bereiche für ein bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) herausgearbeitet:
Unterbringung: „Die FW Bayern fordert eine Auseinandersetzung mit den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention, nach der eine Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt.“
Krisendienst: „Eine zeitgemäße Krisenversorgung – gemeindenah, niederschwellig, ambulante Behandlungsteams des Home Treatment und das zur Verfügungstellen von Rückzugsmöglichkeiten – leistet einen wesentlichen Beitrag für eine gewaltfreiere Psychiatrie.“
Psychiatrieberichterstattung: „Die Zersplitterung aufgrund fragmentierter Leistungszuständigkeiten macht eine Berichterstattung notwendig. Sie schafft Transparenz durch Informationen wie Evaluation und ermöglicht den Entscheidungsträgern die Orientierung und Fokussierung bei der Koordination, Prioritätensetzung und beim versorgungsgerechten Ressourceneinsatz.“
Landespsychiatriebeauftragter: „Es ist Aufgabe der Staatsregierung, für eine koordinierende Stelle zu sorgen, die Freiheits- und Schutzrechte und eine menschenrechtsbasierte Weiterentwicklung der psychosozialen Unterstützungssysteme in den Blick nimmt.“
Beschwerdestelle: „Sie soll möglichst frei von institutionellen Zwängen eine Möglichkeit für Psychiatrie-Erfahrene sein. Das geht über die in Kliniken angesiedelten Patientenbeschwerdestellen hinaus.“ (LOH)

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