Landtag

Betreutes Wohnen ist eine Möglichkeit für Jugendliche, die zum Beispiel wegen Misshandlung aus der Familie genommen werden müssen. (Foto: dpa)

20.11.2015

"Skandalisierte Einzelfälle"

Schriftliche Anfrage: Sozialausschusschef Joachim Unterländer (CSU) sorgt sich um fachliche Mängel bei privaten Trägern der Jugendhilfe

Täglich werden in Deutschland rund 100 Kinder und Jugendliche wegen Misshandlung oder Vernachlässigung aus ihrer Familie genommen. Doch obwohl die so genannten Inobhutnahmen seit 2005 um 64 Prozent gestiegen sind, steht den Jugendämtern kaum mehr Personal zur Verfügung. Daher müsse ein Mitarbeiter oft bis zu 90 Familien betreuen, berichtete die ARD in der Dokumentation „Mit Kindern Kasse machen“. Die Folge: Jugendämter beauftragen für die Unterbringung freie Träger. Mittlerweile betreuten private Einrichtungen über 140 000 Kinder und Jugendliche. Uneigennützig ist das natürlich nicht: Ein einziger Platz kostet die Kommunen laut des Berichts im Jahr rund 50 000 Euro.

Der Vorsitzende des Sozialausschusses im Landtag, Joachim Unterländer (CSU), sorgt sich daher, „dass die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen gewerblicher Träger mit erheblichen fachlichen Mängeln und mit hohen Aufwendungen seitens der Träger der öffentlichen Jugendhilfe verbunden sind“. Er wollte aus diesem Grund von der Staatsregierung wissen, wie sie die Entwicklung bewertet und wie qualifizierte Betreuung in einem angemessenen Kostenrahmen gewährleistet werden kann.

Aus Sicht des bayerischen Landesjugendamts wird das Handeln der Jugendämter von den Medien nur selten differenziert dargestellt, antwortet das Sozialministerium. „Solch pauschale Angriffe auf öffentliche und freie Jugendhilfeträger sind zurückzuweisen.“ Wegen des Sozialdatenschutzes sei es für Behörden einfach nicht möglich, Sachverhalte richtigzustellen oder zu laufenden Fällen qualifiziert Auskunft zu geben.

Unterbringung im Ausland

Die Entscheidung über die Unterbringung (siehe Info) und die Auswahl der Einrichtungen erfolgt laut dem Ressort von Emilia Müller (CSU) anhand der konkreten Fallgestaltung. „In besonders schwierig gelagerten Einzelfällen unterstützen die Regierungen als zuständige Behörden für die Betriebserlaubnis als überörtlicher Jugendhilfeträger die Kommunen bei der Auswahl geeigneter Einrichtungen.“ In der Regel werde eine wohnortnahe Unterbringung angestrebt. Doch dies gelingt nicht immer.

In besonderen Fällen können junge Menschen sogar im Ausland untergebracht werden, wenn dies „nach Maßgabe der Hilfeplanung zur Erreichung des Hilfeziels im Einzelfall erforderlich ist“. Dafür ist zusätzlich die Zustimmung des ausländischen Jugendhilfeträgers und des Familiengerichts erforderlich. Doch in anderen Ländern gelten andere Maßstäbe bei der Betreuung als in Deutschland.

In der ARD-Doku klagt beispielsweise eine deutsche 15-Jährige in Polen über die mangelnde psychotherapeutische Begleitung. Zwei bayerische Ämter sind für die junge Frau zuständig. Doch obwohl die Ergänzungspflegerin einen Teil des Sorgerechts hat, sei sie trotz der rechtlichen Vorgabe kein einziges Mal vor Ort gewesen. Die rechtsaufsichtliche Überprüfung ergab dennoch, „dass Anhaltspunkte für ein dienst- oder pflichtwidriges Verhalten von Mitarbeitern des zuständigen Jugendamts nicht vorliegen“, erklärt das Ministerium. Neben dem Landesjugendamt, den regionalen Entgeltkommissionen und der Heimaufsichtskontrolle durch die Regierungen sorgt laut dem Müller-Ressort der bayerische Landesheimrat für eine sparsame und bedarfsgerechte Unterstützung der Kinder und Jugendlichen. Darüber dürften die „in den Medien skandalisierten Einzelfälle“ nicht hinwegtäuschen.

Sozialausschusschef Unterländer sieht es jetzt als notwendig an, dass die betroffenen Jugendlichen passgenaue Hilfen erhalten. „Dies müssen nicht zwangsläufig große Häuser sein, noch dazu wenn es günstigere ambulante Angebote und Pflegeeltern gibt.“ (David Lohmann)


INFO: Entscheidung über die Unterbringung
Das Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) sieht bei einer längerfristigen Fremdunterbringung für die kommunalen Jugendämter folgende Prämissen vor:
  • Sorgeberechtigte und Kinder sind vor einer Hilfsmaßnahme zu beraten.
  • Vor langen Hilfsmaßnahmen außerhalb der eigenen Familie ist eine Adoption zu prüfen.
  • Kommt das nicht in Frage, müssen Sorgeberechtigte und Kinder an der Heimauswahl beteiligt werden.
  • Die Entscheidung über eine längerfristige Hilfeart soll von mehreren Fachkräften getroffen werden.
  • Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe soll ein konkreter Hilfeplan aufgestellt werden.
  • Ob die gewählte Hilfe und Leistungen weiterhin notwenig sind, soll regelmäßig überprüft werden.
Mögliche Anhaltspunkte für eine Maßnahme der Heimerziehung nach dem SGB VIII sind:
  • Verhaltensauffälligkeiten und Anpassungsstörungen, die andere Jugendhilfeleistungen ausschließen;
  • keine Fähigkeit oder Bereitschaft der Erziehungsberechtigten, das Lebensumfeld zu verändern;
  • eine erheblich belastende Eltern-Kind-Beziehung;
  • wenn eine zeitnahe Verbesserung nicht absehbar ist;
  • die Notwendigkeit besteht, aufgrund der innerfamiliären Situation, das soziale Umfeld zu wechseln;
  • erzieherische Bezugspersonen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld ausgefallen sind;
  • die Hilfe für mindestens sechs Monate nötig ist;
  • die Erziehung in einer anderen Familie wegen der psychosozialen Belastungen nicht möglich ist. (LOH)

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