Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Bundesgesetz zur Einführung des Betreuungsgeldes für nichtig erklärt hat, will Bayern die Familienleistung auf landesgesetzlicher Basis weiter gewähren. Das kündigte Sozialministerin Emilia Müller in einer von der SPD beantragten Aktuellen Stunde mit Blick auf einen entsprechenden Ministerratsbeschluss an. Müller verwies darauf, dass die Karlsruher Richter nicht das Betreuungsgeld an sich in Frage gestellt, sondern lediglich die Zuständigkeit des Bundes verneint hätten. „Die Staatsregierung steht zum Betreuungsgeld“, betonte Müller.
Landtags-SPD erwägt ein Volksbegehren
Ziel sei eine „familienfreundliche Gesellschaft“ mit ausreichenden und qualitativ hochwertigen Betreuungseinrichtungen, aber auch das „Bekenntnis zum Kind“ in den Familien. Dazu brauche es auch künftig das Betreuungsgeld für Eltern, die für ihre Kinder keine Kita nutzen möchten, so Müller. Einzelheiten über die Höhe der Leistung – derzeit 150 Euro im Monat – und eine Übergangsregelung für Eltern, deren Anspruchsberechtigung in die Zeit zwischen dem Auslaufen des Bundesgesetzes und der Einführung der Landesregelung fällt, nannte Müller nicht. Das Kabinett beauftragte die Ministerin, bis September ein Eckpunkte-Papier vorzulegen. Bei der Kostenübernahme sieht die Staatsregierung den Bund in der Pflicht. Dieser solle die für das Betreuungsgeld reservierten Mittel im Bundeshaushalt den Ländern zur Verfügung stellen, forderte Müller.
Die Opposition bewertete das Karlsruher Urteil als schwere Niederlage für Staatsregierung und CSU. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher sprach von einer „Blamage bis auf die Knochen“. Nach der „Ausländermaut“ sei ein weiteres CSU-Prestigeprojekt krachend gescheitert. Rinderspacher: „So ist das, wenn blanker Populismus mit voller Wucht auf die Realität trifft.“ Die CSU scheitere nicht an „dunklen Mächten in Berlin oder Brüssel, sondern an ihrer mangelnden Seriosität“. Statt an dem auch inhaltlich falschen Betreuungsgeld festzuhalten, müsse die Staatsregierung den Krippenausbau kraftvoll fortsetzen, die Betreuungsqualität in den Einrichtungen erhöhen und für eine bessere Kinderbetreuung in Tagesrand- und Ferienzeiten sorgen. Die SPD werde „alle demokratischen Möglichkeiten nutzen“, um das Landesbetreuungsgeld zu verhindern, kündigte Rinderspacher an und schloss dabei ein Volksbegehren nicht aus.
Mit den Worten „Die CSU kann’s nicht“ leitete Eva Gottstein (FW) ihren Redebeitrag ein. Die versprochene Wahlfreiheit zwischen häuslicher und institutioneller Kinderbetreuung werde durch das Betreuungsgeld nur „vorgegaukelt“. Mit 150 Euro im Monat sei echte Wahlfreiheit für die meisten Eltern nicht zu haben. Gottstein forderte ein „familienfreundlicheres Umfeld“ und mehr Fachpersonal in den Kitas. Diese müssten sich von Betreuungs- zu kindgerechten Bildungseinrichtungen wandeln. Ähnlich äußerte sich Grünen-Chefin Margarete Bause. Politisch habe sich die CSU eine „blutige Nase“ geholt. Auch sie sah in dem Urteil die Fortsetzung gescheiterter CSU-Projekte. „Wo CSU draufsteht, ist Unsinn drin“, lautete ihr Fazit.
Für die CSU nannte es Joachim Unterländer „unerträglich, wie die Opposition am Willen der Familien in Bayern vorbeiredet“. Über 100 000 bayerische Familien hätten das Betreuungsgeld bereits beantragt. Dies beweise, dass die Leistung als „Beitrag zur Wahlfreiheit“ akzeptiert werde. Unterländer begrüßte deshalb die Entscheidung der Staatsregierung, das Bundes- durch ein Landesbetreuungsgeld zu ersetzen. Unabhängig davon sprach er sich für den weiteren Kita-Ausbau aus. Der Freistaat habe dafür in den vergangenen Jahren bereits einen Milliarden-Betrag investiert. (Jürgen Umlauft)
INFO: Bundesverfassungsgericht kippt Betreuungsgeld
Das Betreuungsgeld ist vom Tisch – zumindest als Familienleistung des Bundes. Denn nicht der Bund, sondern die Länder seien dafür zuständig, urteilte das Bundesverfassungsgericht diese Woche. Die obersten Richter erklärten aus formalen Gründen die entsprechenden Normen für nichtig und gaben einer Klage des Bundeslandes Hamburg Recht. Das Betreuungsgeld sei nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse notwendig, entschieden die Richter. Sie trafen aber keine inhaltliche Entscheidung darüber, ob die auch als „Herdprämie“ geschmähte Leistung gegen Grundrechte der Bürger verstößt. Das Urteil erging einstimmig (Az.: 1 BvR 2/13). Der Senat setzte keine Übergangsfrist für die Regelungen fest. Die Richter verwiesen vielmehr auf allgemeine Vorschriften zum Vertrauensschutz.
Wer sein Kind unter drei Jahren nicht in einer Kindertagesstätte oder von einer staatlich geförderten Tagesmutter hüten lassen will, konnte bisher die Familienleistung beantragen. Das Betreuungsgeld wurde maximal vom 15. Lebensmonat bis zum dritten Geburtstag gezahlt. Dabei durfte das Kind nicht vor dem 1. August 2012 geboren sein. Die Prämie wurde unabhängig davon gezahlt, ob die Eltern erwerbstätig sind. Bei ihrer Einführung 2013 betrug sie zunächst 100 Euro monatlich, ab August 2014 waren es 150 Euro. Die Zahl der Eltern, die das Betreuungsgeld für ihre Kinder beziehen, hatte zuletzt sprunghaft zugenommen. Im ersten Quartal 2015 waren es laut Statistischem Bundesamt 455 321 Eltern. Die Nachfrage in den neuen Bundesländern war allerdings deutlich geringer. (dpa)
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