Landtag

Für das Opfer ist ein Verbrechen fast immer ein traumatisches Erlebnis. Viele erleiden neben dem psychischen aber auch einen finanziellen Schaden. (Foto: dpa)

23.08.2013

"Vom Missbrauchsopfer zum Bürokratieopfer"

Opferhilfe Bayern: SPD und Betroffene fordern bessere finanzielle Ausstattung der Stiftung sowie die Streichung der Stichtag-Regelung

Vor vier Jahren ging die Odyssee von Antragstellungen, Ablehnungen und Widersprüchen los. Alexandra Aigner kämpft seither um eine angemessene Entschädigung für das Leid, das ihr als Kind die eigene Familie angetan hat. Bislang ohne Erfolg. Die Täter selbst kann Aigner nicht belangen. Der sexuelle Missbrauch ist längst verjährt. „Ich werde nun von einer Stiftung zu der anderen verschoben“, erzählt die Weilheimerin, die von der Landtags-SPD ins Maximilianeum geladen wurde, um von ihrem Fall zu berichten. Sie sagt: „Ich wurde vom Missbrauchsopfer zum Bürokratieopfer.“
Panikattacken und Angstzustände quälten Aigner 30 Jahre lang. Doch erst 2009 stellte ein Arzt die richtige Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung. Und erst mit dieser Diagnose begann Aigner die eigene qualvolle Geschichte aufzuarbeiten. Doch neue Qualen  kamen hinzu. Denn als sie begann, sich um finanzielle Hilfen durch das Opferentschädigungsgesetz (OEG) des Bundes zu bemühen, „wurde ich selbst behandelt wie ein Täter“, sagt sie. Stundenlang wurde sie befragt, einer Glaubwürdigkeitsprüfung unterzogen. Allein zwei Jahre dauerte es, bis geklärt war, ob Krankenkasse oder OEG zuständig sei. Nun erhält Aigner zwar eine kleine Geschädigtenrente, doch auf dem durch das Trauma erlittenen finanziellen Schaden blieb sie sitzen. Einen Großteil der Therapie bezahlte sie selbst. Dazu kommt: Ihre Zähne sind kaputt – infolge der Traumatisierung leidet sie unter Bruxismus, extremem Zähneknirschen. „Doch für eine Entschädigung hätte ich jeden einzelnen Zahnschaden einem der Täter zuordnen müssen“, erklärt Aigner die absurde Situation.

Keine Entschädigung für Misshandlungen in der Kindheit


Genau für Fälle wie dem von Aigner wurde im vergangenen Jahr eigentlich die staatliche Stiftung Opferhilfe Bayern geschaffen. Für Opfer, die Schadensansprüche nicht verwirklichen können (siehe Kasten), auch weil das OEG große Lücken aufweist. Schmerzensgeld gewährt es beispielsweise nicht. „Schnell und unbürokratisch Entschädigung zu leisten“ sei das Ziel, erklärte die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) damals. Doch es gibt einen Haken: Betroffene haben nur dann Anspruch auf Unterstützung aus der Opferhilfe, wenn das Verbrechen nach dem 1. Januar 2010 passiert ist. Entschädigung für Misshandlungen in der Kindheit, die heute noch tiefgreifende psychische Probleme mit sich bringen, gibt es also nicht. Aigner, die vor dem finanziellen Ruin steht, geht leer aus.
„Die Frist muss weg“, sagt der SPD-Landtags-Abgeordnete Stefan Schuster. „Die Regelung ist unwürdig und diskriminierend.“ Dazu allerdings müsste die Stiftung auch finanziell besser ausgestattet sein. Die sei halbherzig, da sie neben einem viel zu geringen Haushaltszuschuss von 70 000 Euro zum Start  allein aus Geldbußen gespeist wird, moniert Schuster. Dazu kommt: Das Geld, das an die Opferhilfe fließt, fehle nun anderen Organisationen, die sich ebenfalls aus Bußgeldern finanzieren, sagt er. Der Kinderschutzbund habe beispielsweise bereits über dramatische Einbußen geklagt. Auch der SPD-Rechtsexperte Horst Arnold fordert, dass man die Stiftung mit Haushaltsmitteln unterstützt. Er sitzt im Beirat der Opferhilfe. Aktuell werden ihr lediglich Bürogebäude und Kopiergeräte durch das Justizministerium zur Verfügung gestellt, erklärt Arnold. Die Konsequenz: „Die schnelle Hilfe, die die Regierung seinerzeit versprochen hat, gibt es de facto nicht!“
Aigner hat noch einige Klageverfahren laufen, auch wenn sie viele bereits fallen gelassen habe, „weil ich einfach nicht mehr kann“, wie sie sagt. Und dann ist da noch der Brief von Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU), in dem diese vor zwei Jahren ankündigte, dass sich jemand des Falles annehmen würde. Geholfen hat man Aigner bislang nicht. Stattdessen versucht man, sie jetzt einmal mehr weiterzuschieben. Sie solle sich doch an den Hilfsfonds „Sexueller Missbrauch“ wenden, hieß es auf ihre  Nachfrage. (Angelika Kahl) INFO: Stiftung Opferhilfe Bayern Ziel der Stiftung ist es, Opfer von Straftaten finanziell zu unterstützen. Dadurch sollen bestehende Schutzlücken im Entschädigungsrecht geschlossen werden, da Opfer von Straftaten erlittene Schäden vom Täter und vom Sozialsystem häufig nicht oder nur teilweise ausgeglichen erhalten. Der Höchstbetrag für eine Zuwendung liegt bei 10 000 Euro. Leistungen können auch enge Angehörige erhalten, wenn sie durch die Tat besondere Nachteile erlitten haben.
Die Stiftung Opferhilfe Bayern hat ihren Betrieb am 22. Oktober 2012 aufgenommen – mit einem Haushaltszuschuss des Justizministeriums in Höhe von 70 000 Euro. Die weitere Finanzierung erfolgt aus Geldbußen aus Strafverfahren. Bis zum 31. März 2013 sind der Stiftung von Gerichten und Staatsanwaltschaften Geldbußen in Höhe von knapp 475 000 Euro zugewiesen worden. Im gleichen Zeitraum sind lediglich Ausgaben in Höhe von 21 000 Euro für finanzielle Hilfen an Opfer von Straftaten gegangen.
Es bestehen fünf Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit die Stiftung  auf Antrag eine Zuwendung gewähren kann: Die Antragstellerin oder der Antragsteller wohnte zur Tatzeit in Bayern oder die Straftatwurde in Bayern begangen. Der Zeitpunkt der Straftat liegt nach dem 1. Januar 2010. Es besteht kein gesetzlicher Leistungsanspruch. Schadensersatzansprüche gegen den Täter oder Dritte können nicht verwirklicht werden. Und die Antragstellerin oder der Antragsteller sind auf finanzielle Hilfe angewiesen ist. Ein Antragsformular findet sich unter www.opferhilfebayern.de

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