Landtag

Lebhafte Diskussion: SZ-Journalist Heribert Prantl, Moderator Andreas Bachmann, Ursula Münch und Alois Glück. (Foto: Bildarchiv Bayerischer Landtag/Poss)

23.05.2014

„Wie bei der Milz: notwendig, aber überflüssig“

Podiumsgespräch: Prantl, Münch und Glück streiten über Rolle und Zukunft der Landesparlamente

Die vielleicht griffigste Erklärung lieferte der ehemalige Grünen-Abgordnete Eike Hallitzky: Edmund Stoiber sei als Ministerpräsident so gut wie nie im Landtag erschienen, deshalb hätten die Journalisten bei den Plenardebatten noch zugehört. Horst Seehofer hingegen nehme an fast jeder Sitzung teil, locke die Landtagspresse aber regelmäßig aus dem Plenarsaal ins Foyer, wo sie sich wie eine Traube um ihn sammle und hinterher über ganz andere Dinge berichte als über den Schlagabtausch der Abgeordneten. Hallitzkys Zuruf aus dem Publikum würzte das Gespräch über „Rolle und Zukunft der Landesparlamente“, zu dem Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) ihren Vorgänger Alois Glück (CSU), die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch und den Journalisten Heribert Prantl auf einem Podium im Landtag versammelt hatte.

Kein Ort der öffentlichen Meinungsbildung mehr

Dass Kabinettsmitglieder in den Medien stets gefragter seien als Abgeordnete, liege nun einmal am direkteren Einfluss der Exekutive, so Glück. „Wenn Sie ein Interview über Landespolitik führen wollen, dann sprechen Sie eher mit dem Ministerpräsidenten als mit 180 Parlamentariern. Auch die Landtagspräsidentin kann ja zu Einzelfragen gar nicht für alle Fraktionen Stellung nehmen“, begründete Ursula Münch, warum ein Parlament in der öffentlichen Wahrnehmung stets hinter der Regierung hinterherhinkt. Mangelnde Wahrnehmung dürfe aber niemand mit Bedeutungslosigkeit verwechseln, warnte Glück. Die Parlamente in Deutschland seien heute nicht mehr Ort der öffentlichen Meinungsbildung. Das liege auch an all den Details, die die politische Debatte heute komplizierter machten als zu Zeiten der großen Redeschlachten, als es im Bundestag noch um Ost und West und das geteilte Deutschland ging. „Unsere Arbeit ist heute weniger spektakulär, aber dennoch wichtig“, befand Glück, der gemeinsam mit Münch alle Hände voll zu tun hatte, sich an Heribert Prantl abzuarbeiten.

Der hatte die Debatte damit eröffnet, der heutige Föderalismus in Deutschland erinnere ihn an einen prächtig geschmückten Osterbaum und die Länderparlamente an die herabhängenden ausgeblasenen Eier. Nicht die Wahrnehmung der Parlamente sei beklagenswert, sondern ihre inhaltliche Impotenz. Zum Beispiel sei die Grunderwerbsteuer die einzige Steuer, über die die Länder selbst entscheiden können, alle weiteren Steuergesetze lege der Bund fest.

Für ihre Bedeutungslosigkeit auf Landesebene rächten sich die Länder, so Prantl, indem sie über den Bundesrat zunehmend auf die Bundespolitik Einfluss nähmen. „Aber auch dort sitzen die Regierungsmitglieder, nicht die Vertreter der Länderparlamente.“ Geradezu leidend klang seine Stimme, wenn er von der Schuldenbremse sprach, einem kürzlich in die Verfassung aufgenommenen Verbot, neue Staatsschulden aufzunehmen. Dass künftig nicht Abgeordnete, sondern ein Stabilitätsrat das letzte Wort über den Haushalt habe, sei „zutiefst anti-parlamentarisch“. Glück entgegnete, die Schuldenbremse begrenze die Staatsausgaben nur nach oben; in der Verwendung des Betrags seien die Parlamente indes weiter frei. Davon wollte sich Prantl aber nicht trösten lassen. Der bayerische Landtag erinnere ihn zunehmend an ein Bonmot von Karl Kraus, der die Milz einmal als „notwendig, aber überflüssig“ bezeichnet hatte. Vom „Herzen der Demokratie“ sei das Maximilianeum weit entfernt, „nicht einmal die Höhe der Biersteuer darf Bayern festlegen“.

Der Freistaat würde gerne zahlreiche Steuern selbst bestimmen und tendenziell eher senken oder abschaffen, um Investoren ins Land zu locken, warf Glück ein. Da sich die schwächeren Länder aber genau vor dieser Entwicklung fürchteten, hätten die Länder so wenig Spielraum bei der Steuergesetzgebung. Prantl diagnostizierte den Deutschen einen Hang zum Zentralstaat und mangelnde Leidenschaft für den Föderalismus. Statt Druck auf die Kultusministerkonferenz auszuüben, die Schulabschlüsse und Lehrerausbildung zu harmonisieren, riefe die Öffentlichkeit zu schnell nach einer Einheitslösung aus Berlin. Dies fand Ursula Münch widersprüchlich: „Auf der einen Seite fordern Sie mehr Unterschiede zwischen den Ländern, auf der anderen Seite wollen Sie mehr Harmonie.“ Deutschland habe eine föderale Verfassung, aber die Deutschen keine bundestaatliche Mentalität. Dies liege auch daran, dass alle Parteien in Deutschland, mit Ausnahme der CSU, ihren Wählern stets Gesamtlösungen für die ganze Republik anbieten müssten.

Regierungen überstrahlen auch künftig die Parlamente

Auf die Frage des Moderators, ob man in zehn Jahren über Landesparlamente anders sprechen werde als heute, antwortete Ursula Münch, an den Strukturproblemen sei schwer zu rütteln: Regierungen würden weiter das Parlament überstrahlen, die finanzielle Kluft zwischen Geber- und Nehmerländern würde sich nicht beseitigen lassen, „egal, wie viele Föderalismusreformen noch kommen“. Möglicherweise gebe es aber in zehn Jahren nicht mehr 16 Bundesländer, prognostizierte Alois Glück. Der zunehmende Kostendruck werde „wohl beginnend im Norden Deutschlands“ manche Landesregierung zwingen, ernsthafter als bisher über Länderfusionen nachzudenken. (Jan Dermietzel)

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