Landtag

Durch die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland konnte bisher lediglich ein Selbstmordversuch verhindert werden. (Foto: dpa)

13.02.2015

Wie viel Freiheit darf’s denn sein?

Fachgespräch der Freien Wähler: Vorratsdatenspeicherung – notwendiges Mittel zur Terrorbekämpfung oder überflüssige Datensammelwut?

Nach den Anschlägen von Paris hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CSU) zur besseren Verbrechensprävention und Strafverfolgung einen neuen Anlauf für die Vorratsdatenspeicherung (VDS) unternommen. „Reflexhafte Rufe nach mehr Datenspeicherung bringen uns aber nicht weiter“, meint jetzt der parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler, Florian Streibl, bei der Veranstaltung „VDS – notwendiges Mittel zur Terrorbekämpfung oder überflüssige Datensammelwut?“. Viel- mehr müsse die Frage gestellt werden, wie viel Sicherheit wir zu welchem Preis brauchen. Kurz gesagt: Was ist wichtiger? Freiheit oder Sicherheit?

Deutlich für die Freiheit spricht sich der Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri aus. Frankreich habe bereits eine zwölfmonatige VDS – trotzdem konnte der Anschlag nicht verhindert werden. Selbst Länder mit Terrorerfahrung wie Großbritannien oder Spanien hätten keinen einzigen Fall nennen können, bei dem die Technik zur Terrorbekämpfung hilfreich gewesen wäre. Auch die Praxisberichte der deutschen Polizei können den Datenschützer nicht überzeugen. Grund: Bisher konnte durch die VDS lediglich ein Selbstmordversuch verhindert werden. „Wollen wir wirklich die gesamte Bevölkerung überwachen, um einen Suizidfall zu verhindern?“ Das Argument „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ greife ebenfalls nicht: Laut Petri sind viele unschuldige Verdächtige traumatisiert von Polizeieinsätzen und Ermittlungsverfahren – „da habe ich Stoff für Tage“. Lediglich für einen Fall sei die Speicherung von Daten sinnvoll: um herauszufinden, wer sich zu welchem Zeitpunkt hinter einer dynamischen, also einer an mehrere Internetsurfer vergebene IP-Adresse verberge.

Die Freiheit zugunsten der Sicherheit einschränken möchte hingegen der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Hermann Benker. Nur weil die VDS in Frankreich nicht den Tod von 17 Menschen abwehren konnte, sei das noch lange kein Argument gegen das Instrument. „Sonst könnten wir auch den Mordparagraphen abschaffen, weil dadurch auch nicht jeder Mord verhindert wird.“ Zudem seien in Paris durch die Verbindungsdaten viele Hintermänner des Anschlags ermittelt worden. Darüber hinaus sei der Begriff „Mindestdatenspeicherung“ treffender, weil die Daten nicht bei der Polizei, sondern bei den Anbietern gespeichert werden. „Darauf darf nur mit richterlichem Beschluss zugegriffen werden“, erklärt der Polizeigewerkschaftschef. Er könne zwar verstehen, wenn Bürger befürchten, dass die Gerichte überfordert sind und Anfragen einfach durchwinken. In diesem Fall könnte sich Benker aber vorstellen, die Entscheidungskompetenz an spezielle Richter oder spezielle Gremien abzugeben. „Die Polizei will auch keine Persönlichkeitsprofile erstellen“, versichert er. „Dafür fehlt uns die Zeit und das Know-how.“

Der Würzburger Oberstaatsanwalt Boris Raufeisen möchte den Richtervorbehalt sogar ausweiten. „Straftäter bedienen sich immer ausgefuchsterer Telekommunikationsgeräte – dem werden wir ohne die VDS nicht Herr.“ Staatsanwälte kämen zwar schon jetzt an die Daten der Provider, doch nicht bei länger zurückliegenden Fällen. Er fordert daher – je nach Schwere der Straftat –, bestimmte Daten über viele Monate und vor allem auch ohne Richterbeschluss einsehen zu können. Durch diese Staffelung sei auch die vom Europäischen Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht geforderte Verhältnismäßigkeit (siehe Infokasten) gewahrt.

Freiheit oder Sicherheit? Schlussendlich müssten alle Bürger selbst entscheiden, was ihnen wichtiger ist, resümiert Streibl. Wie das in der Praxis funktionieren soll, verrät er allerdings nicht. So bleibt von diesem Fachgespräch lediglich das Fazit des Abgeordneten: „Mit oder ohne VDS: Einen 100-prozentigen Schutz wird es leider nie geben.“ (David Lohmann)
INFO: Vorratsdatenspeicherung

Die in Deutschland 2007 in Kraft getretene Vorratsdatenspeicherung umfasste mehrere Bereiche: Telefonanbieter mussten die Rufnummern der Gesprächspartner sechs Monate speichern. Bei Handytelefonaten wurde zusätzlich noch der Standort des Anrufers festgehalten. Onlineprovider mussten die IP-Adresse und die Anschlusskennung ebenfalls ein halbes Jahr sichern. Das gleiche galt bei E-Mails. Hier wurden allerdings wieder zusätzlich die Adresse des Absenders und des Empfängers gespeichert. Nicht festgehalten wurde, was der Inhalt der Telefonate oder des Schriftverkehrs war.

2010 kippte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Regelung. „Die angegriffenen Vorschriften gewährleisten weder eine hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Verwendungszwecke der Daten“, hieß es in der Begründung. „Auch genügen sie nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Transparenz- und Rechtsschutzanforderungen.“ Die Regelung sei damit verfassungswidrig und nichtig.

2014 erklärte auch der Gerichtshof der Europäischen Union die Richtlinie für ungültig: „Aus der Gesamtheit dieser Daten können sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen […] gezogen werden.“ Als Beispiel werden Gewohnheiten des täglichen Lebens, vorübergehende Aufenthaltsorte, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen und das soziale Umfeld genannt. Die Richter sahen deshalb in der Vorratsdatenspeicherung einen „besonders schwerwiegenden Eingriff“ in die Grundrechte ohne „irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme“. (LOH)

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